Ler-Trilogie 01 - Morgenrötes Krieger
es nicht. Sie sind ziemlich weit weg und bedeutend höher als unser eigener Standort – mehrere Meilen höher. Es könnten sechs- bis siebentausend Fuß sein – oder auch mehr. Ich bin sicher, daß wir sie zu Fuß nicht überqueren können. Aber es ist unsere einzige Chance. Gebirge von dieser Höhe und Formation haben nicht selten ein tiefes Becken auf der anderen Seite, wenn – wie hier – eine Hochebene vorgelagert ist, ähnlich einer Kontinenta l scholle. Vielleicht ist auch ein Meer dahinter.“ Er unte r brach sich. Er wollte noch etwas sagen, war aber auße r stande dazu. Er rang nach Luft.
Liszendir schaute lange auf die Bergkette. Sie schützte dabei ihre Augen mit der Hand. „ Ja, du hast recht, sie sind weit weg – viele Tage weit für uns. Aber ich gebe zu, es ist der einzige vernünftige Weg. Ich bin nicht g e rade beglückt darüber, die Ebene zu durchqueren, wenn ich an den Meteoriten denke. Aber schau, wie sich die Sonne bewegt. Es muß gegen Nachmittag sein, und als wir landeten wares wohl kurz vor Mittag. Die Tage sind hier offenbar sehr kurz. Man kann sogar sehen, wie sich die Sonne bewegt.“
„Schau nicht hin! Diese bläulichen Flecken bedeuten ultraviolettes Licht. Wir können einen bösen Sonne n brand bekommen – du vor allen Dingen. Deine Augen könnten ebenfalls Schaden nehmen.“
Ohne lange zu zögern, verhüllten sie sich, so gut es ging, sammelten ihre paar Habseligkeiten ein und mac h ten sich auf den Weg.
„Geh langsam, Liszendir, und atme tief durch. Wir können nicht rennen.“
Sie lächelte ihn an. „Wer rennt denn?“ Ihr Tonfall war voller Belustigung und Trotzigkeit, aber auch bestimmt und energisch. Han fragte sich, ob das Ganze sie nicht zu sehr anstrengen würde, zumal er nicht wußte, ob Ler überhaupt Höhenluft ertragen konnten. Er wußte ledi g lich, daß sie niemals an extrem hoch gelegenen Orten lebten. In der Tat, es konnte für sie hart werden.
Die Nacht brach so plötzlich herein wie eine Tür, die man zuwirft. Dabei waren sie noch nicht sehr weit g e gangen. Liszendir hatte heftige Kopfschmerzen beko m men. In dem Gebirgswall, der sich vor ihnen auftürmte, entdeckte Han eine Schneise, die nach Form und Lage ganz annehmbar aussah. Er wollte schauen, wie weit sie vorankommen würden.
Sie fanden etwas Wasser. Es war brackig und tröpfelte nur spärlich, ohne daß man genau erkennen konnte, w o her es kam. Han roch daran, schmeckte kurz und schaute vergeblich das umliegende Gelände nach Schlamm und Wasserlachen ab. Sie brauchten Stunden, um an den w e nigen Tropfen ihren Durst zu löschen.
Das Licht hinter der Gebirgskette nahm eine unb e schreibliche Färbung an: ein gleißendes Perlmuttblau, das in die Augen stach, sich abschwächte und in totale Dunkelheit überging. Nachdem sie mit Unlust und ohne ein Wort zu wechseln ihr Nahrungskonzentrat hinunte r gewürgt hatten, gruben sie sich eine flache Mulde in den Erdboden und legten sich halb zugedeckt und eng anei n andergekuschelt zum Schlafen nieder. Liszendir ging es schlecht. Sie rang keuchend und mit viel Anstrengung nach Luft. Han nahm sie fest in seine Arme. Er fühlte sich ebenfalls nicht gut und war trotz der geringen Marschleistung ungewöhnlich müde; aber es war nicht so schlimm, wie er erwartet hatte. Der Sauerstoffgehalt war anscheinend sehr hoch.
Die Sterne gingen auf und strahlten mit erstaunlicher Klarheit und Leuchtkraft; zum Zenit hin glitzerten und funkelten sie wie Sterne, die auf bekannteren Planeten nahe dem Horizont standen. Ja, eine schwere, dichte A t mosphäre, geringer Feuchtigkeitsgehalt, aber reich an Sauerstoff. Doch die Sterne waren ihm unvertraut und nach den angenehm freundlichen Nächten auf Chalcedon in ihrer Fremdheit fast feindselig. Zudem war es erbär m lich kalt. Er hatte recht behalten: Die Temperatur sank in der Tat rapide.
Sie schliefen nicht besonders gut, was auch wohl unter dem Einfluß der Höhenkrankheit nicht anders zu erwarten war – hinzu kamen noch die Kälte und die unbequemen Umstände. Han war fast froh, als er sah, wie nach einer kurzen, ja fast zu kurzen Nacht der Himmel heller wurde. Er änderte seine Farbe schlagartig; dann – als die Sonne aufging – wurde es stechend heiß. Der Übergang war unvermittelt brutal. Er verstand nun, warum man diesen Planeten Morgenröte nannte. In einem gewissen Sinne jedoch war er von großartiger Schönheit und erinnerte an schmelzenden, glühenden Stahl. Die Temperatur stieg, bevor sich noch die
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