Ler-Trilogie 03 - Stunde der Klesh
nicht auf seine Wahrnehmung verlassen konnte. Ihm stand einfach nicht das geeignete Vorwissen zur Verfügung, um seine Beobachtungen richtig einzuschätzen. Er konnte die verschiedenen Rassen nicht unterscheiden, und Cretus’ Erinnerungen waren ihm kaum eine Hilfe. Cretus hatte ein Bild von den Stämmen und Septen von Kepture, das der fernen Vergangenheit angehörte. Reinrassige Klesh waren offensichtlich nur wenige darunter. Das überraschte Meure nicht. Wer würde schon freiwillig in diese üble Stadt ziehen, die dem Rest dieser Welt verhaßt war, wenn nicht die Mischlinge, die halb-, viertel- und achtelblütigen Ausgestoßenen aller Stämme.
Cretus hatte sich bisher ruhig verhalten. Doch Meure hatte das Gefühl, daß er sich nicht mehr so tief zurückgezogen hatte wie bisher. Anscheinend beobachtete er schweigend die Umgebung und verbarg sich nicht länger erschreckt vor der Wirklichkeit. Meure hoffte, daß er Cretus noch eine Weile zurückhalten konnte, denn es war sicher nicht gut, wenn dieser sich zeigte, bevor die Umstände dafür wirklich geeignet waren. Oder bis sie es erforderten. Das war Meures Wunsch, und er hatte das seltsame Gefühl, daß er Cretus mit diesem Wunsch unter seiner Kontrolle hatte. Wenn das wirklich so war, wäre er sehr dankbar dafür. Vielleicht gab es für ihn doch einen Weg, ihr Unternehmen heil zu überstehen.
Der Vfzyekhr hatte sich lange und ausgiebig das Fell geputzt, jetzt lag er wie ein wärmendes Kissen an Meures Hüfte geschmiegt und war fest eingeschlafen. Morgin schnarchte leise. Außer Meure war nur Flerdistar noch wach. Bei Tenguft machte es keinen Unterschied, ob sie schlief oder wachte. Sie würde auf jeden Fall ein guter Wächter sein.
Der schwere Dunst, der auch nachts in den Straßen von Yastian hing, brach das Licht und leitete es in die kahlen Räume, so daß Meure recht gut sehen konnte. Er konnte sich vorstellen, daß diese diffuse Beleuchtung für Flerdistar und Clellendol sehr angenehm sein mochte, denn Ler konnten im Halbdunkel besser sehen als Menschen. Bei starker Dunkelheit dagegen bewegten sie sich eher zögernd, das hatte er schon auf dem Schiff beobachtet. Er sah Flerdistar in der Nähe des Fensters sitzen. Von ihrem Strohsack aus konnte sie hinaussehen, doch ihre Augen starrten ins Leere; ihr Gesicht war ausdruckslos.
Plötzlich stand sie auf, kam zu ihm herüber und setzte sich neben ihn. Sie begann sofort zu sprechen; sie schien sich ihre Worte lange vorher überlegt zu haben. „Es fällt mir schwer, mit dieser Tatsache fertig zu werden, … aber jemand muß es aussprechen. Wieder einmal ist eine Expedition nach Monsalvat gescheitert, und die Überlebenden müssen sich nun über die fällige Entscheidung klarwerden: Sollen sie auf eine ungewisse Rettung hoffen, oder sollen sie sich auf eine düstere Zukunft einstellen?“
„Wie kannst du sagen, daß du gescheitert bist“, erwiderte Meure, „solange noch ungewiß ist, ob du nicht doch noch eine Antwort auf die Frage erhältst, wegen der du hierhergekommen bist.“
„Wir haben kein Schiff, darum könnte ich die Antwort nicht persönlich überbringen; und wir haben keine Verbindung zu anderen Planeten, darum kann ich sie auch nicht senden. Außerdem ist mir die Antwort unbekannt. Unsere Gruppe, die so zuversichtlich und gut gerüstet aufgebrochen ist, besteht nur noch aus drei Personen, von denen eine – du nämlich – sich unter meinen Augen immer mehr in ein fremdes, furchteinflößendes Wesen verwandelt.“
Meure lachte leise und beruhigend: „Du glaubst also, Cretus sei dabei, die Kontrolle zu übernehmen. In dieser Frage kann ich dich beruhigen. Cretus ist nicht ich, du würdest den Unterschied sofort bemerken.“
„Ich fürchte nicht nur Cretus. Da ist noch etwas … es ist schwer zu beschreiben. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft vermischen sich dauernd auf diesem Planeten. Es fällt mir schwer, ihre Spuren zu entwirren. Ich spüre fremde Mächte, und ich weiß nicht, ob sie in die Vergangenheit oder in die Zukunft gehören. Sie verbergen sich im Schatten und steuern, kaum wahrnehmbar, das Gegenwartsgeschehen. Eine von diesen Kräften erscheint mir besonders verschwommen, scheint Vielfalt und Einheit zugleich zu sein. Vielleicht ist es diese Wesenheit, von der ich dich schon einige Male sprechen hörte.“
„Beunruhigt dich noch etwas?“
„Ja, ich wollte es dir bisher nicht sagen, da ich mich vor den Folgen fürchtete.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Ich kann dir
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