Lichthaus Kaltgestellt
perversen Mörders.
Ob in der Küche oder im großzügigen Wohnzimmer, das durch eine Schiebetür mit dem Esszimmer verbunden war, überall herrschte Ordnung und oberflächliche Sauberkeit, aber nirgends eine persönliche Note – keine Fotos oder Zeitschriften, einfach nichts – einer Möbelausstellung gleich. Allein der abgestandene Zigarettenmief zeugte davon, dass hier ein Mensch lebte. Er hatte weitergesucht, wollte den Täter kennenlernen, Bilder schauen oder Gewohnheiten erahnen, doch weder die Schubladen, noch die Schränke gaben etwas preis.
Auch das Schlafzimmer erinnerte an ein Hotel. Ein Bett, eine Kommode und ein einzelner Kleiderschrank. An der Wand ein Druck mit Ritterbildern. Die Kommode gefüllt mit Wäsche, der Schrank voll mit Hosen, Mänteln und Sakkos, alles ordentlich aufgereiht. Er wollte gerade die Tür schließen, als er den Kasten sah. Zurückgeschoben bis an die Rückwand stand er im untersten Fach, halb verdeckt von einer Wolldecke, die über den Rand des Bretts darüber hing. Eine solide Kiste aus klar lackierten Brettern. Schön anzufassen. Er zog sie heraus und hob sie aufs Bett, wunderte sich auch über ihr Gewicht. Der Deckel der Kiste ließ sich abheben. Darunter standen elf unverklebte Umschläge nebeneinander, angetreten wie eine Kompanie zum Morgenappell.
Lichthaus setzte sich, griff sich wahllos einen heraus, schüttete den Inhalt auf die glatte Bettdecke – und sprang auf, wollte damit nicht in Berührung kommen. Tief sog er die Luft ein. Abgetrennte Haupt- und Schamhaare, ein Ohrring, ausgerissene Fingernägel, ein Slip, alles fein säuberlich in Tütchen verpackt, breiteten sich vor ihm aus. Fotos, auch eine Filmkassette guckten aus dem Umschlag heraus. Mit spitzen Fingern angelte er ihn zu sich heran und zog nervös die Bilder heraus. Eine Dokumentation des Leidens. Die Frau – eigentlich noch ein Mädchen – war ihm unbekannt. Sie lag auf dem Bett und war angekettet. Striemen, rot und blau unterlaufen, bedeckten ihren Körper wie ein Spinnennetz. Er war froh, dass die Augen verklebt waren, die Angst und der unbeschreibliche Schmerz ihn nicht anstarrten. Die Fotos waren offensichtlich chronologisch geordnet, denn der körperliche Zustand wurde zusehends schlimmer. Er zwang sich, die Serie zu Ende zu schauen. Die letzte Aufnahme zeigte die Leiche. Der Mörder hatte sie unten im Flur fotografiert.
Lichthaus stand auf und trat mit dem Bild ans Fenster. Jetzt sah er den Garderobenspiegel und darin den Täter. Er schaute genauer hin und erstarrte. Dann lief er los, riss die Schlafzimmertür auf und rannte weiter in Richtung Treppe. Er musste hier raus, so schnell wie möglich, doch er begriff, dass es bereits zu spät war. Er nahm eine Bewegung wahr, wollte sich umdrehen, dann bekam er einen Schlag gegen den Kopf und versank in Dunkelheit.
*
Das Gehör war das Erste, was wieder funktionierte. Ein merkwürdiger Zustand. Er konnte seinen Körper nicht fühlen, sich nicht bewegen, doch er hörte ein Klatschen, das laut in seinem Kopf dröhnte. Ruhe, dann wieder das Klatschen. Es unterdrückte die aufkeimenden Bilder von Claudia und Henriette und machte Platz in seinem Schädel. Zuerst für den Schmerz, schließlich für die Erinnerung. Er klimperte mit den Lidern und sah die Quelle des Geräuschs. Tropfen, die direkt vor seinen Augen in winzige Gischt zersprangen.
Er lag bäuchlings auf alten Kacheln, die Fugen waren voller Schimmel, und woher auch immer tropfte es. Langsam drehte er den Kopf, wollte die Beine strecken, doch sofort schnürte ihm etwas die Luft ab. Er spürte einen Strick um den Hals, röchelte, strampelte hin und her, nur, je mehr er sich anstrengte, umso größer wurde der Druck auf seine Kehle.
»Aber, aber Herr Lichthaus, Sie wollen sich doch nicht umbringen.« Ein glucksendes Lachen folgte der Stimme aus dem Off. Kräftige Hände packten zu und lockerten das Seil. Er atmete tief ein, dann wurde er auf die Seite gedreht.
Er lag in dem alten Becken der Waschküche und war gefesselt. An Händen und Füßen. Um seinen Hals hatte er eine Schlinge. Und alles war miteinander über eine Schnur verbunden, die über seinen Rücken lief. Streckte er die Füße, erwürgte er sich selbst. Jetzt war sie so weit gelockert, dass er sich aufsetzen konnte.
Schweiger – der geschätzte Kollege, der Mann, den er auf dem Foto erkannt hatte, vor dem er versucht hatte wegzulaufen – starrte ihn an. Er trug keine Brille, und sein kahler Kopf wirkte mit seinen
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