Lichtschwester
spüren - wie bei einem hinterm Horizont aufziehenden Sturm, der noch außer Sicht, aber schon zu fühlen ist. Als Tanna jetzt aus dem Zelt trat, ging Kethry forschenden Blicks auf sie zu. Aber die scharfe Zornfalte um den Mund der Partnerin sagte ihr alles, was sie im Augenblick wissen mußte.
»Warrl kann auf die Kinder aufpassen. Und wir, bleiben wir hier?« fragte sie. »Oder reiten wir los?«
Tarma überlegte kurz, und mitten in ihr Schweigen hinein setzte die durchdringende Klage ein, mit der die Shin'a'in um ihre Toten trauern. Da kniff Tarma die Augen zusammen, und ihr Gesicht wurde hart.
»Wir reiten«, stieß die Shin'a'in dann zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor.
Sie ritten den ganzen Tag nach Norden, am Fluß entlang, und dann, als der Strom unter der Steilwand verschwand, den Zickzackweg zur Dhorisha-Ebene hinauf. Sie kamen gegen Sonnenuntergang dort oben an, zogen aber bis lange nach Einbruch der Dunkelheit weiter und schlugen erst bei stockfinsterer Nacht mitten im vom Kiefernduft erfüllten Pelagiris-Wald ihr Lager auf. Tarma hatte während des ganzen Ritts kein Wort gesagt; und Kethry hatte dieses Schweigen respektiert, obwohl sie darauf brannte zu erfahren, was geschehen war.
Weil Kethry ja nun schon Zaubermeisterin war, mußte sie mit ihren magischen Energien nicht mehr ganz so sparsam umgehen und konnte es sich daher erlauben, zwei Hexenflammen zu erzeugen, die ihnen genügend Licht zum Holzsammeln und zum Anfachen des Feuers gaben, das Tarma mit einem winzigen Zauberfunken entzündet hatte. Es war natürlich kein sehr großes Feuer, aber bei dieser Hitze brauchten sie es nur, um das Kaninchen für ihr Nachtmahl zu braten. Als sie gegessen hatten, blieb Tarma noch lange sitzen und starrte in die ersterbenden Flammen. Ihr zuckender Schein beleuchtete die alten Baumriesen rings um ihren Lagerplatz, deren Stämme so dick waren, daß Tarma sie auch mit beiden Armen nicht hätte umspannen können, und deren ausladendes Astwerk erst etliche Mannslängen über dem Boden begann.
Dieser Ort, der sonst meist wie ein Tempel wirkte, kam den beiden in jener Nacht eher wie ein Grab vor.
»Er hat uns nicht nicht mehr viel gesagt, bevor er starb«, begann Tarma endlich. »Aber nach seiner Kleidung, vielmehr deren Resten ... war er ein For'a'hier ... gehörte er zum Feuerfalkenclan .«
»Glaubst du, daß sie ... allesamt tot sind?« fragte Kethry, des Schicksals der Tale'sedrin eingedenk. Aber Tarma schüttelte den Kopf.
»Sie sind wohlauf. Wir haben einen Boten zu ihnen geschickt. Aber der da ... erzählte, er sei allein gewesen. Die Feuerfalken waren immer ... etwas anders. Dieser Clan bringt mehr Schamanen hervor als jeder andere, manchmal auch einen Zauberer. Diese Feuerfalken sind dafür bekannt, daß sie gern umherstreifen und dabei auch von der Großen Ebene herabsteigen. Der da war ein Laj'ele'ruvon, ein Wissens-Sucher, und er war auf seiner Suche hierhergekommen, ins Gebiet der Tale'edras ... Die Schamanen der Feuerfalken haben weit mehr Kontakt zu den Tale'edras als wir anderen. Was auch mit ihm geschehen sein mag, es geschah hier in diesem Wald.«
»Du glaubst doch nicht ... daß ein Habichtbruder ...«, hob Kethry an. Aber dieser Gedanke schien ihr selbst so absurd, daß sie schon den Kopf schüttelte, ehe Tarma das gleiche tat. »Nein ... ein Habichtbruder sei zwar irgendwie darin verwickelt, sagte der Sterbende uns noch, aber der, der das getan habe, sei kein Tale'edras. Ich glaube, er wollte mir verständlich machen, daß dieser Habichtbruder irgendwie in Schwierigkeiten sei,« sagte Tarma und rieb sich nachdenklich die Schläfe. »Ich habe mir die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, wie um alles in der Welt ein Habichtbruder in Schwierigkeiten kommen könnte, und ich ...«
Da ertönte knapp über ihnen ein Schrei. Kethry sprang erschrocken auf und umfaßte zähneknirschend den Griff ihres Schwertes Gram.
Wieder erklang der schaurige Schrei, und diesmal erkannte sie ihn als den eines Eulenadlers, jenes Nachträubers mit dem Gebaren und dem geräuschlosen Flug einer Eule und dem Bau und Aussehen eines Adlers. Es war ein seltenes Tier, und Kethry kannte es nur, weil ein Paar von ihnen in der Nähe ihrer Burg nistete und Jadrek, ihr Mann, es allabendlich stundenlang hingerissen beobachtete.
Tarma erhob sich gleichfalls und scharrte plötzlich Erde über die Glut, um sie zu löschen. Als Kethry dann, da ihre Augen sich ans Dunkel
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