Liebe mit Schuss
währte jedoch nicht lange. Wie in aller Welt sollte sie jetzt nach Tennessee kommen? Ohne Auto? Ihr Mustang stand noch in der Werkstatt in Beaumont, wo das arg ramponierte, mit Kugeln durchlöcherte Sechziger-Jahre-Modell so gut wie möglich wieder zusammengeflickt wurde.
Sie brauchte einen Plan.
Sie brauchte einen fahrbaren Untersatz.
Es hatte wieder zu regnen angefangen. Ein richtig großer Schirm wäre jetzt gut. Oder eine Unterkunft für die Nacht.
Jamie warf einen Blick auf das Straßenschild: Whittville, 2 Meilen. Das sagte ihr nichts; sie hatte noch nie von dem Ort gehört.
In diesem Moment holperte ein Abschleppwagen in die Tankstelleneinfahrt und hielt neben einer der Zapfsäulen an. Ein untersetzter Kerl im Blaumann stieg aus und griff zum Zapfhahn. Als er sah, dass sie ihn beobachtete, tippte er sich an die Baseballmütze und nickte ihr zu, als wäre es etwas ganz Normales, nachts um zwei eine einsame Frau auf dem Parkplatz einer heruntergekommenen Tankstelle auf und ab laufen zu sehen.
Hm. Vielleicht könnte er sie ja mitnehmen.
Jamie beschloss, zu ihm hinzugehen. Er wirkte eigentlich recht harmlos. Mittleres Alter, Ehering. Der Arbeitsoverall spannte sich über einen Trommelbauch; der Mann war offensichtlich gut genährt. Hatte wahrscheinlich eine Frau zuhause, die ihn ordentlich bekochte. Wahrscheinlich aßen sie abends im Wohnzimmersessel vor dem Fernseher, vor sich jeder eins von diesen niedlichen kleinen Tabletts. Sie führten wahrscheinlich eine einfache, unkomplizierte Beziehung.
Der Mann hatte bemerkt, dass sie ihn anstarrte. »Wünsche Guten Abend, Ma’am.«
Auf einem kleinen Wäscheschildchen, das auf den Latz seines Overalls genäht war, prangte der Name »Buford Noll«. Ja, der war wirklich harmlos.
»Einen schönen Guten Abend, Mr. Noll«, erwiderte Jamie so munter wie möglich. »Könnten Sie mich vielleicht in die nächste Stadt mitnehmen? Ich würde Sie auch dafür bezahlen.«
»Aber sicher. Wohin wollen Sie denn?«
»Na ja, ich suche ein nettes, preiswertes Motel für die Nacht.«
»Tja.« Er rieb sich das Doppelkinn. »Das in Whittville ist ziemlich schäbig. Besser, Sie fahren bis Jessup.«
»Wie weit ist das?«
»Etwa zwölf Meilen.«
»Wie gesagt, ich würde Sie bezahlen.«
»Ach nein, das brauchen Sie nicht. Ich muss ohnehin in diese Richtung. Muss unterwegs nur mal kurz Halt machen.«
Jamie fiel ein Stein vom Herzen. »Vielen Dank.«
»Setzen Sie sich ruhig schon mal rein, Miss …«
»Nennen Sie mich einfach Jamie.« Sie ließ sich nicht zweimal bitten und stieg auf der Beifahrerseite ein. Schon besser. Viel besser.
Max Holt saß in seinem Wagen im Dunkeln auf der anderen Straßenseite und beobachtete, wie Jamie in den Abschleppwagen kletterte. Sie hatte ihn nicht bemerkt, weil sie telefoniert hatte.
»Was macht sie jetzt?«, fragte eine Stimme aus dem Armaturenbrett.
»Sieht so aus, als hätte sie eine Mitfahrgelegenheit nach Hause gefunden.«
»Mann, diesmal hast du’s aber wirklich verbockt.«
Max warf einen bohrenden Blick auf die blinkenden Lichter seines Armaturenbretts. Sein Auto, ein Porsche-Verschnitt, war von einem ehemaligen NASA-Wissenschaftler entwickelt worden. Das Chassis bestand aus einem nahezu unzerstörbaren Titangemisch. Das Fahrzeug selbst verfügte über den neuesten technischen Schnickschnack: Satellitennavigation, Videokonferenz-Ausrüstung und vieles mehr. Das alles wurde von einem Computer gesteuert, einem wahren Superhirn, das Max selbst erschaffen hatte und das auf einer Technik beruhte, die auf dem Markt erst in ein paar Jahren zu haben sein würde.
Seine Erfindung – er nannte sie »Muffin« – besaß eine Marilyn-Monroe-Stimme und »sie« konnte buchstäblich eigenständig denken. Muffin war ein wahrer Dickschädel, nahm nie ein Blatt vor den Mund und war, so unglaublich es klingt, zu Emotionen fähig. Sie nahm praktisch ununterbrochen Daten auf, doch im Gegensatz zu anderen Computern bildete sie sich dazu eine Meinung und reagierte entsprechend. Und dank Max’ Schwester Deedee, die sich in den Klauen der Menopause befand und sich bei Muffin deswegen ausgeheult hatte, bildete sich der Computer nun ein, unter demselben Wehwehchen zu leiden.
Muffin war demnach also in den Wechseljahren. Sie litt unter Hitzewallungen und unter Stimmungsschwankungen, und sobald Max etwas tat, was ihr nicht passte, drohte sie ihm damit, ihre eigene Festplatte abstürzen zu lassen. Zurzeit pflegte sie eine Gelegenheitsliebelei mit einem
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