Liebe oder so
verlassen hatte, war immerhin mal was Neues.
„Ja“, meinte er nur, wohl wissend, wie ich darüber dac hte.
„Tja, dann bist du besser dran als ich“, sagte ich schlie ßlich, ohne davon wirklich überzeugt zu sein, „Sonja hat mich gerade verlassen.“
„Wie, jetzt kürzlich?“
„Heute.“
„Oh.“ Er schien ehrlich betroffen zu sein. „Aber ihr hattet euch auch schon mal getrennt, oder?“
„Nein, wir haben uns bloß ab und an mal ne Auszeit gegönnt.“
Pause.
„Was ist der Unterschied?“
„Weiß ich auch nicht so genau“, sagte ich.
„Und diesmal“, fragte er, „nichts zu machen?“
„Ich fürchte, nein.“
„Hm... - Du, weshalb ich eigentlich anrufe: Hast du noch meine Selig-CD zum Brennen bei dir? Jenny wollte mal reinhören, und ich dachte...“
„Kannst sie dir abholen“, sagte ich, „ich brauch sie nicht.“
„Tja, ich hab da das Problem, dass... Na ja, ich hab im Moment kein Auto.“
„Wieso das denn?“, fragte ich.
„Jenny arbeitet doch jetzt außerhalb, sie braucht das Auto viel dringender als ich... Und außerdem darf ich eh diesen Monat nicht fahren.“
Ich überhörte die letzte Bemerkung absichtlich. Den Lappen konnte man leicht mal für nen Monat verlieren, da gehörte nicht viel dazu. Aber mein Mitleid für andere hielt sich derzeit in Grenzen, und seit der Erwähnung von Jennys Namen durfte er damit ohnehin nicht mehr rechnen.
„Hör mal, du kannst dir die CD gerne bei mir abholen, aber ich werd nicht noch durch die halbe Stadt fahren, um sie dir zu bringen. Schick doch Jenny vorbei, sie hat doch jetzt ein Auto! Und gib ihr gleich mein Werkzeug mit, das liegt seit dem Umzug immer noch bei dir rum.“
Der Umzug, ja... Damals hatte sie ihn wieder mal rausgeschmissen. Wir hatten Möbel und Kisten geschleppt wie die Blöden, seine Kumpels waren dabei für nichts zu gebrauchen gewesen. Ich fuhr damals diesen irre praktischen Ex-Krankenwagen und war damit nicht nur Jörgs erste Wahl als Umzugshelfer.
Das war im Frühjahr gewesen, Ende März. Sonja und ich hatten Jörg zur Einweihung der neuen Wohnung ein Monstrum von einem Präsentkorb geschenkt, mit Brot, Salz und jeder Menge Leckereien, sie hatte echt was los in solchen Dingen. Nachdem Jörgs Sonnenscheinfreunde gegangen waren, legten wir die Platten unserer besten Jahre auf und ließen ein paar Flaschen rundgehen. Die Wohnung war noch nicht eingerichtet, aber am Ende des Abends prangte ein riesiger Rotweinfleck auf dem himmelblauen Teppichboden, und darauf war das Salz aus dem Präsentkorb zu einem Häufchen aufgeschichtet, es sah aus wie ein von Christo verpacktes Atoll in einem Ozean voller Pappkartons.
„Mann, hast du eine L aune!“, kam vom anderen Ende der Leitung.
„Allerdings. Was ist nun, kommst du noch vorbei?“ Mir war klar, dass die Einladung alles andere als her zlich klang, aber in solchen Dingen war ich nicht der beste Schauspieler.
„Lass mal, so eilig brauch ich die CD auch wieder nicht . Ich würd sagen, ich meld mich die Tage wieder, okay?“
„Ja, mach das .“
Ich zog den Stecker des Telefons und steckte mir auf dem Balkon eine Zigarette an. Hinter den Hausd ächern zu meiner Linken ging die Sonne unter, wieder ein Tag, den ich als erledigt abhaken konnte. Wenn man die Sache erst mal von einem philosophischen Standpunkt aus betrachtete, war man dem Paradies schon vierundzwanzig Stunden näher.
Natürlich würde Jörg sich nicht mehr melden, bevor sich Jenny nicht wieder von ihm getrennt hatte. Er war einer meiner ältesten Freunde und lange Zeit auch mein bester gewesen, aber ich wusste, dass das endgültig der Vergangenheit angehörte. Ich wollte nicht denselben Fehler begehen wie er und Jenny, die krampfhaft versuchten, in die alten Zeiten zurückzukehren, in denen die Welt für sie noch eine Scheibe war.
Mein geliehenes Werkzeug hatte ich längst ersetzt, wus ste ich doch nur zu gut, dass Jörg und mich nichts mehr verband als eine vage Erinnerung an bessere Zeiten und ich ihn vermutlich für Jahre nicht mehr wiedersehen würde. Gelegentlich hatte ich eben auch helle Momente, in denen mir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft glasklar vor Augen standen. Das waren meist auch die Abende, an denen ich mich betrank.
Irgendwie waren wir alle dazu verdammt, unsere Fe hler zu wiederholen, so oder so. Darin glichen wir uns, Carolin und Armin, Jenny und Jörg, Sonja und ich. Wir linsten durch den Türspalt in die Unendlichkeit und zogen letztlich doch den Schwanz ein vor dem
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