Liebe – wie im Maerchen
werden könnten.
Bei ihrem Eintreten blickte Raschid lächelnd auf. "Ihr Essen ist serviert, Madam", verkündete er neckend. "Sie können jetzt also auch Ihren anderen Hunger stillen."
Es war als Scherz gemeint, aber Evie konnte nicht darüber lachen.
Tatsächlich revoltierte ihr Magen beim Anblick der Köstlichkeiten, die Asim auf dem Couchtisch kunstvoll angerichtet hatte. Evie wurde plötzlich von kalter Angst gepackt, weil sie wusste, dass sie die Aussprache mit Raschid nicht länger aufschieben konnte.
"Raschid? Ich muss mit dir reden", sagte sie heiser.
Aufhorchend drehte er sich mit dem Glas in der Hand zu ihr um.
"Worum geht's?"
Evie wich seinem forschenden Blick aus und ging zum Fenster.
Dort zog sie den Vorhang beiseite und blickte starr hinaus auf die funkelnden Lichter der Stadt, während sie sich den Kopf zermarterte, wie sie beginnen sollte.
In der gespannten Stille spürte Evie förmlich, wie Raschids scharfer Verstand auf Hochtouren arbeitete. Spätestens jetzt war ihm zweifellos klar geworden, dass seine Geliebte etwas ernsthaft bedrückte. Schließlich stellte er sein Glas weg und kam langsam an ihre Seite. Doch er machte nicht den Versuch, sie zu berühren, als spürte er instinktiv, dass sie in diesem Moment Freiraum brauchte.
"Was ist los, Evie?" fragte er sanft.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Wir haben ein Problem", antwortete sie heiser, bevor sie erneut der Mut verließ.
Raschid schwieg und wartete geduldig. Evie sah sein Spiegelbild im Fenster. Seine ernste Miene verriet, dass er sich insgeheim bereits gegen schlechte Nachrichten wappnete. Verzweifelt stellte Evie fest, dass sie es einfach nicht über sich brachte. Raschid bedeutete ihr zu viel, sie liebte ihn zu sehr, als dass sie das Risiko hätte eingehen können, ihn zu verlieren.
Noch nicht, dachte sie unglücklich. Bitte, noch nicht!
Kurz entschlossen flüchtete sie sich in eine Halbwahrheit. "Meine Mutter möchte, dass du eine Ausrede findest, um an der Hochzeit meines Bruders nicht teilzunehmen."
Raschid schwieg immer noch. Mit pochendem Herzen beobachtete Evie im Fenster, wie sich seine Miene nachdenklich verfinsterte.
Raschid war kein Narr. Sein Gespür sagte ihm, dass sie etwas viel Schwerwiegenderes bedrückte als eine der üblichen Meinungsverschiedenheiten mit ihrer Mutter.
Trotzdem ist es nicht gelogen, dachte Evie trotzig. Ihre Mutter hatte während des gemeinsamen Mittagessens keinen Zweifel daran gelassen, wie sehr sie es vorziehen würde, wenn Scheich Raschid Julians Hochzeit, die in zwei Wochen in ganz großem Stil gefeiert werden sollte, fernbleiben würde.
"Eure beklagenswerte Berühmtheit wird dafür sorgen, dass ihr beide anstatt der Braut und des Bräutigams im Mittelpunkt des Interesses stehen werdet", hatte Lucinda Delahaye als Hauptargument vorgetragen. "Wenn er auch nur eine Spur von Taktgefühl besäße, wäre ihm das selbst klar geworden, und er hätte die Einladung dankend abgelehnt. Da es ihm aber anscheinend an Taktgefühl fehlt, ist es, denke ich, an dir, ihm diesen Rat zu erteilen."
Allerdings wussten sowohl ihre Mutter als auch Raschid, dass sie, Evie, für derartige Beeinflussungen nicht empfänglich war.
Normalerweise hätte sie es nicht einmal für nötig befunden, ein solches Gespräch mit ihrer Mutter Raschid gegenüber zu erwähnen.
Aber was ist an diesem Tag schon normal gewesen? fragte sie sich bedrückt, während sie im Fenster Raschids wachsende Verärgerung beobachtete. Kurz nach dem Aufstehen war ihre Welt aus den Fugen geraten, und seitdem hatte Evie sich die meiste Zeit wie unter Schock gefühlt. Lediglich die eine Stünde, in der sie sich ganz in Raschids leidenschaftlicher Liebe verloren hatte, hatte sie aus ihrer dumpfen Starre gerissen, doch nun hatte die grausame Wirklichkeit sie wieder eingeholt. Raschid stand hinter ihr und sah sie vorwurfsvoll an, als hätte sie ihn zutiefst enttäuscht.
"Ist das alles?" fragte er schließlich.
"Ja", flüsterte sie und verachtete sich für ihre Feigheit.
"Dann scher dich zum Teufel!" Er wandte sich ab.
Evies Herz klopfte zum Zerspringen. Raschid hatte natürlich gespürt, dass sie gerade vor irgend etwas gekniffen hatte. Sie drehte sich ebenfalls um und blickte ihm besorgt nach. "Raschid, du..."
"Ich weigere mich, darüber zu diskutieren", unterbrach er sie so verärgert, ja, angewidert, dass sie sich angstvoll fragte, wie er wohl reagiert hätte, wenn sie ihm das gesagt hätte, was ihr wirklich auf der Seele brannte.
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