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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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auch nicht anders. Die Jungfrau
     Maria war nur eine Frau unter vielen, gebenedeit sei sie, Zehntausende von Männern wurden ans Kreuz geschlagen, und zu Füßen
     des Kreuzes litten die Mütter Höllenqualen, weil sie ihre Söhne überlebt hatten. Gott erhebt, wen er will, Gott hat sie erhoben.
     Aber wieder zurück zu der Heiligen, ich wurde von ihr angesprochen. Ich starrte gerade auf die Milchhaut, die |368| an der Kännchentülle zum Zapfen trocknete, und sie stand plötzlich am Tisch und sagte: Bemüh’ dich nicht, unsere Gefängnisse
     sind voll, dann strich sie mir unsanft über das Haar und verschwand. Sie hat es nicht darauf abgesehen, mich mit heiligem
     Atem zu behauchen, aber ich spürte Luft an meinen Händen und Luft an meinem Gesicht.
    Und deshalb? fragte ich sie, sie hatte mir die Geschichte am Morgen erzählt, an diesem sehr heißen Morgen war ich gut aufgelegt,
     sie freute sich über meine Berührungen, ich hatte auf der Eckbank im Frühstücksraum des Hotels gesessen, die Sonne schien
     durch den Gardinenspalt auf meinen linken Arm, und ich strich Butter und Marmelade auf die längs halbierte Brezel, und da,
     den Blick auf ihren unberührten Teller gerichtet, fing sie an zu sprechen, und am Ende ihrer Geschichte von der Irren, die
     ziellos herumstrich und von den Neapolitanern für heilig befunden wurde, am Ende der Geschichte über meine abergläubische
     gläubige Tyra, fragte ich sie: Und deshalb bist du verwandelt? und sie sagte: Nicht nur deshalb. Gabriel und Elisabeth waren
     nicht zu sehen, der Herr Hauptdienstleistender Harbach war verschwunden, an der Rezeption tat ein baumlanger Student seinen
     Dienst, er stand auf, wann immer ein Tourist sich nach einem Ausflugsziel erkundigte, und zeigte auf der Landkarte auf grüne
     Flächen jenseits der Brücken. Tyra ließ mich meine Geldbörse vom Hotelzimmer holen, ich stürmte die Treppen hinunter, in der
     vagen Furcht, sie könnte vor mir geflohen sein, doch sie stand vor dem Eingang und blickte mich an, blickte mich nur an.
    Wir fuhren mit dem Taxi zur Servitenkirche im Roßauer Lände, und kaum daß wir ausgestiegen waren, eilte sie davon, das schroffe
     Gotteshaus sah nicht einladend aus, ich trat ein, links befand sich die Lourdesgrotte, |369| rechts vom Eingang hing das Bild des Judas Thaddäus, der als Anverwandter Jesu ausgewiesen wurde, auf dem Schriftentisch darunter
     lagen schlecht fotokopierte Blätter aus, ich griff nach einem und las ›die Novene in ganz aussichtslosen Fällen‹, sie fing
     mit der Forderung an, das Heilige Herz anzubeten, und endete mit der Bitte, dem Vater Ehre angedeihen zu lassen. Ich hörte
     ein Rascheln aus der Tiefe des Kreuzganges, ich folgte dem Wispern, hielt mich rechts und rang meine Übelkeit wegen des Weihrauchgeruchs
     nieder, und da sah ich sie im Moment, da sie niederkniete vor einer hakennasigen Wachsfigur im schwarzen Mönchshabit, ihr
     aufgerissener Mund wurde von einem flaumartigen langen Bart umkränzt, das war die Statue des heiligen Peregrinus, ich wußte
     es, weil Tyra mir davon erzählt hatte, der Heilige hielt einen Rosenkranz in der Hand, die Kutte war am Saum hochgeschoben,
     und ich konnte aus der Entfernung nicht erkennen, ob auf seinen entblößten rechten Unterschenkel das blutende Jesusherz oder
     eine offene Wunde gemalt war, sie kniete vor der Statue und wisperte und flüsterte, doch die Augen des Heiligen, die Glasaugen
     der Wachsfigur, waren nach oben verdreht, dort oben, dort im Himmel, war das Heil, war die Luft, die ihn gestreift hatte,
     auch er ein Verwandelter, der von einem anderen Heiligen dazu bekehrt wurde, fast dreißig Jahre lang zu stehen, da aber fraß
     sich der Krebs in sein Schienbein, am Vorabend der Amputation erschien ihm Jesus und neigte sich ihm vom Kreuz herab, und
     der Knochenkrebs verheilte. Steh’ auf, sagte ich ihr leise, tu das nicht, du kannst doch nicht vor einem Götzen aus Wachs
     niederknien, bitte, sie schüttelte den Kopf, und ich lief vor Scham rot an, weil ich eifersüchtig war auf diesen Patron der
     Fußlahmen und der Krebskranken, vor ihm auf Knien fiel von Tyra alle Sturheit und aller Unwille ab, sie ergab sich einer Puppe,
     und sie tat es |370| freiwillig, die Verwandelte und der Bekehrte, und ich im sicheren Abstand von einigen wenigen Schritten, kein Wort mehr, keine
     Beschwörung mehr, keine einzige Bitte mehr, sollte sie sich doch verstecken vor meiner Liebe, die zu einfach war und kein
     Feuer und keine Verdammnis

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