Liliane Susewind – Tiger küssen keine Löwen (German Edition)
Trina!«, fuhr Finn die blonde Pflegerin an.
Das Mädchen verstummte und blickte mit versteinertem Gesicht zu Boden.
»Es ist nicht besonders nett, über andere zu lachen, wenn sie schon rot sind wie eine Tomate, Trina«, schaltete sich Frau Essig-Steinmeier ein.
Lilli senkte den hochroten Kopf.
Die Direktorin funkelte das blonde Mädchen ungehalten an. »Wir lachen ja auch nicht über dich, Trina, wenn du vor unserer Besprechung mal wieder vergisst, dein Handy auszuschalten, es mitten im Gespräch klingelt und du einen Tomatenkopf bekommst.« Frau Essig-Steinmeier seufzte. »Da wir gerade davon sprechen: Wie wäre es, wenn du mir dein Handy einfach gibst, bevor es wieder losgeht?«
Trina schluckte. »Ich hab es nicht dabei.«
Die linke Augenbraue der Direktorin wanderte in die Höhe. »Und das soll ich dir glauben?« Frau Essig-Steinmeier griff in die Hosentasche von Trinas Overall, doch sie fand nichts darin. »Na so was! Hast du dein Handy verloren?«
Trina zuckte die Achseln.
»Wie bitte?« Frau Essig-Steinmeier baute sich vor Trina zu voller Größe auf und stemmte die Hände in die Seiten. »Ich habe dir eine Frage gestellt.«
»Ja, ich hab … es verloren«, brachte Trina stockend hervor.
»Aha. Das ist ein wahrer Segen.« Frau Essig-Steinmeier seufzte abermals und wandte sich wieder an alle. »Also! Was ihr wissen solltet, ist Folgendes: Liliane versteht die Laute und Rufe, mit denen Tiere sich untereinander verständigen – Piepsen, Fiepen, Bellen, Blöken, Kreischen, Krähen, Johlen, Jaulen, Maulen, Meckern, Maunzen, Raunzen, Schnauzen, Winseln, Wiehern, Brüllen, Blubbern, Quaken, Quietschen, Gurren, Knurren, Schnurren, Grunzen, Schnattern, Gackern, Rattern, Hicksen und Zischen.«
Lilli und die anderen sahen Frau Essig-Steinmeier mit großen Augen an. Die Direktorin hatte während der Aufzählung nicht ein einziges Mal Luft geholt.
»Und die Tiere wiederum verstehen Liliane, wenn sie mit ihnen spricht«, fügte Frau Essig-Steinmeier hinzu. »Liliane spricht ganz normal, in Menschensprache, und die Tiere verstehen sie trotzdem. Wie so etwas genau vonstattengeht und wie es so etwas überhaupt geben kann, weiß kein Mensch, aber das ist auch nicht wichtig. Was zählt, ist: Es funktioniert! Wir können durch Liliane herausfinden, was uns unsere Tiere sagen wollen. Es gibt bei uns ja ein paar schwierige Fälle –«
»Ronni geht es heute nicht gut«, unterbrach Finn die Direktorin.
Frau Essig-Steinmeier zog wieder die linke Augenbraue in die Höhe. »Erstens wird die Direktorin nicht unterbrochen, Finn Landmann!«
Finn senkte den Blick und murmelte: »Verzeihung, Frau Direktorin.«
»Und zweitens will ich sofort wissen, was mit Ronni nicht stimmt!«
»Er hat seit gestern Abend nichts mehr gefressen und wirkt irgendwie geknickt.«
»Kann ich zu ihm gehen?«, fragte Lilli Frau Essig-Steinmeier. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen bei ihren Besuchen im Elefantenhaus mit Ronni angefreundet und mochte den tollpatschigen kleinen Kerl sehr gern.
»Eigentlich wollten wir ja …«, überlegte die Direktorin laut. Dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung. »In Ordnung. Finn, Trina, Liliane, ihr kommt mit mir zum Elefantenhaus. Winkewitz und Grau-Müller, Sie füttern die Robben und säubern das Becken.«
»Jawohl, Frau Direktorin!«, riefen die zwei angesprochenen Tierpfleger.
Frau Essig-Steinmeier teilte nun allen Pflegern ihre Aufgaben zu und die Aufgerufenen machten sich sofort an die Arbeit.
Schließlich sagte die Direktorin zu Lilli, Finn und Trina, die als Einzige übrig geblieben waren: »Mir nach!«, und eilte mit großen, zielstrebigen Schritten davon.
Lilli und die anderen bemühten sich, mit Frau Essig-Steinmeier Schritt zu halten. Sie hetzten im Gänsemarsch durch einen Teil des Zoos, in dem Lilli noch nie gewesen war, und kamen an einem Leoparden und einer Tigerin vorbei. Die Raubkatzen, die dösend in ihren Gehegen lagen, richteten sich interessiert auf, sobald sie Lilli entdeckten, und trabten bis an die Gitterstäbe heran. So war es immer, wenn Tiere Lilli zum ersten Mal begegneten. Sie bemerkten sofort, dass an diesem Menschenmädchen irgendetwas Besonderes war. Dazu musste Lilli gar nicht mit ihnen sprechen.
Lilli ignorierte den Leoparden und die Tigerin, die sie neugierig anstarrten. Irgendwann würde sie sicherlich die Zeit haben, sich ihnen vorzustellen.
Lilli konzentrierte sich darauf, ebenso große Schritte wie Frau Essig-Steinmeier zu machen und nicht aus dem
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