Lisa
und alles. Es macht uns alle kleiner, als wir vorher schon waren.
Ich fühle mich durchaus klein. Nicht minderwertig. Einfach klein. Ihr auch? Du auch?
…
Ist da irgendjemand, der mir zuhört? Irgendjemand? Ein Einziger?
…
Ich habe mich oft gefragt, ob Gott mir zuhört. Ob er ein angenehmerer Typ ist, als er manchmal dargestellt wird und so weiter.
Vor allem habe ich mich gefragt, ob wir ein Verhältnis zueinander haben. Ob er mich mag oder ob er mich nicht mag, oder ob ich ihm schnurzpiepegal bin. Als ich ein Kind war, wusste ich, der mag mich. Als ich achtzehn war, wusste ich, der hasst mich. Mittlerweile bin ich fast davon überzeugt, dass ich für ihn bestenfalls so viel bedeute wie eine gammelige Bratwurst. Angeekeltes Desinteresse.
Habe ich in meinem Leben etwas gemacht, das mich für den Himmel qualifiziert? War das genug, als ich damals den kleinen Jungen aus dem Käfig rausgeholt habe? Ihr wisst schon, habe ich sicher schon erzählt. Oder dass ich Frauen zweimal ein Freund war, ein echter Freund, obwohl das alles andere als angenehm war, weil ich sie geliebt habe? Ach, was solls, nur kein Selbstmitleid, das ist sowieso das Schlimmste. Außerdem kriege ich noch etwas hin. Je älter man wird, desto besser kann man als Mensch werden. Altwerden hat nur den Nachteil der geistigen Unbeweglichkeit. Die Alten sind WIRKLICH nicht in der Lage, neue Ideen zu verstehen, so wie sie die Zeit nichtverstehen, in der sie leben. Einfacher macht das die Welt nicht.
…
Jetzt ist mir wieder die Ärztin ohne Grenzen eingefallen. Die hätte ich gern hier.
Sex ist etwas sehr Altes. Nicht zuletzt deswegen mögen ihn die einen so sehr und lehnen andere ihn vehement ab oder haben zumindest Schwierigkeiten damit.
…
Ich hole mir was zu trinken und – nein, nachher. Erst erkläre ich euch etwas, jedenfalls so gut ich kann. Ich verstehe immer noch nicht alles, aber ich muss mich ja wirklich nicht für alle Details von Details interessieren und die Zusammenhänge behalten. Schon gar nicht, was Genetik betrifft.
Hilgert hat Lisas Genspuren schließlich ein weiteres Mal zu seinen Freunden nach Linz geschickt und sie gebeten, einen bestimmten DNA-Strang unter die Lupe zu nehmen. Einen, der sich von Generation zu Generation angeblich kaum verändert.
Alles klar soweit? Ich hoffe, ich muss hier keinen Erbinformationsvortrag halten, da würde ich scheitern. Ich mache es so simpel wie möglich.
Jener DNA-Strang. Über diesen Teil der DNA konnte man zum Beispiel vor Jahren feststellen, dass die heutige mitteleuropäische Bevölkerung aus nur sechs oder acht verschiedenen Frauen hervorgegangen ist, weil es offenbar mal vor vielen vielen tausend Jahren in Europa äußerst ungemütlich war. Zumindest habe ich das, was mir Hilgert und der Genmensch erzählt haben, so verstanden. Und die Untersuchung dieses Abschnitts von Lisas DNA hat etwastotal Verrücktes ergeben. Zuerst wollte es keiner glauben, und als dann kein Zweifel mehr bestand, dass sie sich nicht täuschen, vereinbarten sie, Stillschweigen zu bewahren. Es ist ja so hässlich. Es wird euch genauso wenig gefallen. Aber ich erzähle es euch, hier und jetzt.
Moment, ich brauche einen Schluck, mein Mund ist wie ein Staubsaugersack. Ich fühle mich wie ein Filibusterer. Oder heißts Filibuster? Ohne -er?
Filibustern. So ein schönes Wort.
…
Das Üble am Altwerden, am Tod ist ja, der Geist macht noch mit, nur die Materie, die du von dir siehst, die will nicht mehr. Du da drinnen, du schon.
Sterben, das bedeutet, du musst das System abschalten, obwohl du nicht magst. Obwohl du noch voll im Betrieb bist, sagen sie, wir ziehen den Stecker, wir drücken den Knopf, wir machen das Licht aus, Sperrstunde! Und du stellst dein Glas hin und gehst zu einer Tür, die im Dunkeln liegt.
Ich höre schon auf, diese Metaphorik erinnert mich zu sehr an Nina mit ihrer Bauernesoterik und ihrer überdrehten Sprache. Einmal ruft sie an, Katha war nicht zu Hause, sie beginnt mir von einer Freundin zu erzählen, die bei einer Wahrsagerin gewesen ist. Und stell dir vor, was die Wahrsagerin gesagt hat über Carina, sie hat gesagt: Sie wird sehen! Bei mir hat es zu rattern begonnen, was meint die da, wovon redet sie, ich kenne Carina nämlich und weiß, dass die ganz normal sieht. Und Nina weiter: Stell dir vor, diese Freude! Carina wird sehen! Da habe ich dann gefragt, ob was mit Carinas Augen passiert ist. Antwort von Nina: Sie wird SEHEN, du Hornochse! Sie wird die Gabe haben! Nochwissen wir
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