Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
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Tom blickte sich um. Er sah, daß der Mann aus dem »Grünen Käfig« gestürzt kam. Tom ging schneller. Kein Zweifel, der Mann hatte es auf ihn abgesehen. Vor fünf Minuten erst war Tom aufgefallen, daß der Mann von einem Nebentisch aufmerksam zu ihm herüberäugte - so als sei er sich noch nicht restlos sicher, aber doch beinahe. Tom hatte dieses »beinahe« genügt - hastig hatte er seinen Drink hinuntergegossen, gezahlt und sich empfohlen.
An der Ecke duckte sich Tom und lief quer über die Fifth Avenue. Da war Raouls Kneipe. Sollte er es darauf ankommen lassen? Hineingehen, noch einen trinken? Sein Schicksal und das alles herausfordern? Oder sollte er sich lieber davonmachen, hinüber zur Park Avenue, wo er ihn vielleicht in irgendeiner dunklen Seitengasse abschütteln konnte? Tom kehrte bei Raoul ein.
Er schlenderte hin zu einem freien Platz an der Bar. Automatisch ließ er dabei seinen Blick durch den Raum schweifen. Niemand da, den er kannte? Doch, dort am Tisch saß der Dicke mit den roten Haaren, dessen Namen er immer wieder vergaß, er hatte ein blondes Mädchen bei sich. Der Rothaarige winkte, und Toms Hand hob sich zu einem lahmen Gegengruß. Er ließ ein Bein über den Hocker gleiten und drehte sich herausfordernd, wenn auch wie zufällig zur Tür um.
»Gin und Tonic, bitte«, sagte er zu dem Mixer.
War das der Typ von Mann, den sie ihm auf die Fährte setzen würden? War er es, war er es nicht, war er es doch? Er sah überhaupt nicht wie ein Polizist oder ein Detektiv aus. Er sah aus wie ein biederer Geschäftsmann, wie irgend jemandes Vater, gut gekleidet, gut genährt, mit ergrauenden Schläfen und einem Air der Unsicherheit. War das der Typ, dem man eine solche Aufgabe überträgt - in einer Bar ein Gespräch anzuknüpfen und dann - peng! - die Hand auf die Schulter, während die andere Hand eine Polizeimarke zückt? Tom Ripley, Sie sind verhaftet. Tom behielt die Tür im Auge.
Da kam er. Der Mann blickte sich suchend um, sah ihn und schaute sofort zur Seite. Er nahm seinen Strohhut ab und suchte sich einen Platz um die Ecke der Bar.
Mein Gott, was wollte er bloß? Ganz sicher, daß er nicht zur »anderen Fakultät« gehörte, ging es Tom nun schon zum zweitenmal durch den Kopf. Aber sein gemartertes Hirn drehte und wendete dieses Wort, gerade als könnte das Wort ihn schützen; es wäre ihm viel lieber, der Mann gehörte dazu und nicht zur Polizei. Dann könnte er ihm einfach sagen: »Nein, vielen Dank«, könnte freundlich lächeln und seiner Wege gehen. Tom schob sich auf seinem Hocker zurecht und riß sich zusammen.
Er sah, wie der Mann dem Barkeeper ein Zeichen gab; dann kam er um die Ecke der Bar auf ihn zu. Es war soweit. Tom starrte ihm entgegen, keiner Bewegung fähig. Mehr als zehn Jahre können sie dir nicht geben, dachte er. Vielleicht fünfzehn, aber bei guter Führung . . . Jetzt öffnete der Mann den Mund, um zu sprechen. Ein Stich verzweifelter, quälender Reue durchzuckte Tom.
»Entschuldigen Sie - sind Sie Tom Ripley?«
»Ja.«
»Ich bin Herbert Greenleaf. Richard Greenleafs Vater.«
Der Mann irritierte Tom allein durch seinen Gesichtsausdruck mehr, als wenn er mit einem Revolver auf ihn gezielt hätte. Das Gesicht war freundlich, lächelnd und voller Hoffnung.
»Sie sind Richards Freund, nicht wahr?«
In Toms Gedächtnis erglomm ein schwacher Funke. Dickie Greenleaf, stimmt. Ein Langer, Blonder. Er hat ziemlich viel Geld gehabt, fiel Tom ein. »Ja, natürlich Dickie Greenleaf, ja.«
»Und ganz gewiß kennen Sie Karl und Marta Schriever, nicht? Die beiden haben mir von Ihnen erzählt und glaubten, Sie würden vielleicht . . . äh . . . was meinen Sie, ob wir uns vielleicht an einen Tisch setzen können?«
»Gewiß«, sagte Tom verbindlich und ergriff sein Glas. Er folgte dem Manne zu einem freien Tisch im Hintergrund des kleinen Raumes. Begnadigt! dachte er. Frei! Kein Mensch dachte daran, ihn zu verhaften. Bei diesem hier ging es um etwas anderes. Ganz egal, um was - jedenfalls nicht um schweren Diebstahl oder um Postbetrug oder wie immer sie es nennen mochten. Vielleicht saß Richard irgendwie in der Klemme. Vielleicht kam Mr. Greenleaf sich Hilfe oder gute Ratschläge holen. Na schön - was man einem Vater wie Mr. Greenleaf sagte, das wußte Tom.
»Ich war mir nicht ganz sicher, ob Sie wirklich Tom Ripley sind«, sagte Mr. Greenleaf. »Ich glaube, wir haben uns nur ein
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