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der Zelle befand. Er hatte von außen Fotos davon gemacht und Aufnahmen von allen, die dort ein und aus gingen. Es gelang ihm sogar, mit einem Zweitschlüssel einzudringen und den Innenraum zu fotografieren. Jagos hatte mir zwar nahegelegt, die Finger davonzulassen, aber ich behielt diese Fotos. Alle von ihnen mit Ausnahme meines Vaters gingen nebenher einem unverdächtigen Broterwerb nach. Jason hatte eine kleine Baufirma gegründet, Loukas war gerade in die Politik gegangen, und Vakirtsis machte sich langsam als Journalist einen Namen. Als ihre Geschäfte im Lauf der Zeit immer besser gingen, wurden sie von Umstürzlern zu Unternehmern. Der Erfolg blendete sie so sehr, daß sie die Revolution ganz vergaßen und ihr schließlich völlig abschworen. Mitte der achtziger Jahre war mein Vater ganz allein übriggeblieben, verraten von seinem Kind und von seinen ehemaligen Weggenossen.«
Sie geht in die Küche und kehrt mit einem zweiten Glas zurück. Sie trinkt einen Schluck und schließt die Augen.
»Die Idee, mich zu rächen, hatte ihren Ursprung im Selbstmord meines Vaters. Ich sagte mir: Sie waren es doch, die ihn zum Selbstmord getrieben haben, und nicht ich. Mein Gedankengang war einfach: Wenn er sich meinetwegen hätte umbringen wollen, so hätte er das schon vorher getan. Er beging Anfang der neunziger Jahre Selbstmord, als er mit ansehen mußte, wie seine ehemaligen Weggefährten zu Stützen des Establishments wurden, das sie früher einmal hatten stürzen wollen. Der Untergang der sozialistischen Regime war nur der letzte Todesstoß.«
Sie hält das Glas zwischen beiden Händen und blickt darauf. »Sie werden sagen, ich lege mir das alles nur zurecht. Vielleicht stimmt das auch. Dieser Verdacht ist mir selbst schon gekommen. Jedenfalls wollte ich die Wut loswerden, die sich in mir angestaut hatte. Jagos war aus dem Militärdienst entlassen worden, seine paar Ersparnisse gingen für seine Rechtsanwälte drauf, und ich mußte Geld verdienen. Parallel dazu studierte ich in Abendkursen Betriebswirtschaft und Informatik. Als ich den Entschluß faßte, mich zu rächen, bewarb ich mich in Favieros’ Firma unter dem Namen Koralia Janneli, als Athanassios Jannelis’ Tochter. Mein Vater hatte sich tatsächlich vor Scham verkrochen, wie er es mir angekündigt hatte, und niemandem erzählt, daß ich Jagos Skouloudis, den Folterer, geheiratet hatte. Jagos seinerseits hatte mir verboten, zum Prozeß zu kommen. Folglich war ich sicher, daß Favieros meinen Hintergrund nicht kannte. Tatsächlich bestellte er mich ein paar Tage später zu sich, erkundigte sich nach der Identität meines Vaters und stellte mich ein. Ich verrichtete meinen Job gut und machte daher rasch Karriere. An meinen freien Abenden schrieb ich an den Biographien der drei. Ich verfügte über Jagos’ riesiges Archiv, dazu noch über die Informationen diverser Zuträger. Als ich die drei Biographien fertiggestellt hatte, trat mein Plan in Kraft.«
»Hatten Sie die erste Biographie dem Verleger schon geschickt?«
»Ja. Ich hatte einen kleinen, unbekannten Verlag ausgewählt, um kein Risiko einzugehen. Dann begann ich, Favieros per E-Mail Kopien meiner Dateien zu schicken. Jeden Tag ein paar, ohne jeglichen Kommentar. Die Dateien löschten sich am folgenden Tag selbst, und an ihre Stelle traten neue.«
Eine von Stefanakos’ Notizen kommt mir in den Sinn: Da war doch noch eine Person erwähnt worden, die Beweise schicken wollte und exorbitante Dinge verlangte. Das war die Janneli.
»Wie haben sie darauf reagiert?«
Zum ersten Mal lacht sie unbekümmert los. »Favieros sandte mir kurz und schmerzlos die Frage: ›Wieviel?‹ Stefanakos reagierte wie ein mit allen Wassern gewaschener Politiker: ›Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, aber man kann über alles reden.‹ Und Vakirtsis faßte sich kurz: ›Nenn Deinen Preis, Arschloch.‹ Ich habe allen gleichermaßen geantwortet: ›Ich möchte, daß ihr euch in aller Öffentlichkeit umbringt, dann werde ich mit einer biographischen Lobeshymne für euren Nachruhm sorgen. Wenn ihr nicht einwilligt, werde ich alles ans Licht bringen und euch und eure Familien vernichten.‹ Dann habe ich ihnen die Biographie zur Ansicht geschickt, um sie zu überzeugen.«
»Warum aber öffentlich, Frau Janneli? Diese Frage hat mich vom ersten Tag an gequält.«
»Ich weiß, Sie haben es wiederholt erwähnt«, entgegnet sie mit einem Lächeln. »Weil mein Vater sich in seinem Zimmer erhängt hat und erst gefunden
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