Love Train
mein Mund fühlte sich staubtrocken an, denn plötzlich dämmerte mir, worauf das Ganze hinausgehen sollte.
»Aber â¦Â«, startete ich einen schwachen Gegenanlauf, als Juli mir zuvorkam.
»Und deshalb soll dieses Baby hier als mein Babysitter mitkommen?« Schwungvoll stieà sie sich von der Spüle ab und stolzierte mit wütenden Schritten zum Küchentisch. Sie donnerte mit ihrer rechten Faust so heftig auf die Tischplatte, dass der Tee aus den Tassen schwappte. »Das ist nicht euer Ernst.«
»Julia, mein Schatz, sei doch mal vernünftig.« Auch nach achtzehn Jahren schien meine Mutter noch nicht kapiert zu haben, dass Vernunft nicht gerade zu Julis Stärken zählt.
»Eine solche Reise allein anzutreten, ist viel zu gefährlich. Und auch schrecklich langweilig.« Das war wieder mal typisch für meine Mutter. Als Lehrerin hielt sie es wohl für eine geschickte pädagogische Strategie, einem einzureden, alles, was sie entschied, sei bloà zu unserem Besten. »Sicher habt ihr zu zweit viel mehr SpaÃ.«
»Auf keinen Fall«, riefen Juli und ich wie aus einem Mund und warfen uns augenblicklich einen irritierten Blick zu. Es kommt selten vor, dass wir uns über etwas so einig sind.
»Bevor ich die Tour mit Lena mache, gehe ich lieber für vier Wochen ins Kloster«, ereiferte Juli sich.
»In Ordnung, das wird sich arrangieren lassen.« Meine Mutter wirkte plötzlich sehr gelassen, was Juli nur zu neuer Raserei trieb.
»Ihr habt mir die Reise geschenkt. Schon vergessen?« Ihre rot lackierten Fingernägel trommelten im Stakkato auf den Tisch. »Ihr könnt sie mir nicht einfach wieder wegnehmen.« Sie klang wie ein kleines Kind, dem man die Lieblingspuppe entrissen hatte, um sie in die Waschmaschine zu stecken.
»Doch, liebe Julia, das können wir«, entgegnete meine Mutter noch immer ruhig. »Es ist immerhin unser Geld, mit dem du verreisen willst. Und du bist unsere Tochter. Deshalb tragen wir die Verantwortung dafür, dass dir auf dieser Reise nichts zustöÃt.«
Juli schnaufte, und ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, die so hektisch geworden war, dass ich garantiert kurz vor dem Hyperventilieren stand.
»Aber â¦Â«, versuchte ich es noch einmal, doch ich wurde wieder unterbrochen, dieses Mal von meiner Mutter.
»Meine Güte, Mädchen, ihr stellt euch ja an, als würden wir euch aneinanderketten und in die Wüste schicken.« Sie verdrehte die Augen. Das theatralische Wesen hat Juli definitiv von unserer Mutter geerbt, während ich eher der ruhige, etwas schüchterne Typ bin, wie unser Vater. Apropos. Der sah aus, als würde ihm unsere aktuelle familiäre Massenkarambolage heftig auf den Magen schlagen. Und er brachte noch immer kein Wort heraus. Dafür gelang es mir endlich, mich aus meiner Schreckstarre zu lösen.
»Darf ich vielleicht auch mal was dazu sagen?«, fragte ich schnippisch.
»Natürlich.« Meine Mutter wandte sich mir mit einem etwas angestrengten Vertrauenslehrerlächeln zu. »Was möchtest du sagen?«
»Ich habe keine Lust auf diese Reise«, stieà ich hervor. »Ãberhaupt nicht. Ich weià wirklich nicht, warum ich durch die Gegend gondeln soll, nur damit Juli ihre tolle Tour machen kann. Sorry, sucht euch bitte einen anderen Deppen!«
Ich senkte den Blick, damit ich meine Eltern nicht direkt anschauen musste, und wollte mich umdrehen, um aus dem Krisenherd in der Küche zu flüchten, da donnerte mein Vater plötzlich seine Faust auf den Tisch, was noch viel lauter rumste als eben bei Juli.
»Jetzt reichtâs«, fuhr er uns an. »Da ackert man Tag für Tag, um euch alles zu ermöglichen, was ihr euch wünscht. Und was erntet man dafür? Nichts als Meckerei. Eure Mutter und ich bieten euch die Chance zu reisen, die schönsten Plätze Europas kennenzulernen, am Strand zu liegen und etwas zu erleben. Und ihr? Wollt nicht. Na, dann eben nicht. Julis Ticket geben wir zurück. Ende. Aus.« Seine Hand sauste noch einmal mit einem Rums herunter, dann blieb sie auf der Tischplatte liegen, als wüsste mein Vater nicht mehr, was er damit anfangen sollte. Wir alle starrten ihn an. So viele Worte auf einmal hatte er schon länger nicht mehr gesagt.
»Das könnt ihr nicht machen!«, kreischte Juli in die Stille hinein, die auf den Ausbruch meines Vaters gefolgt war. Und dann
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