Luca's Rezepte
1.
»Nacht, Kleiner... wird Zeit.«
»Nacht, Matteo.«
»Du bleibst noch?«
Ich wies auf mein Messer. »Bin hellwach...«
»War ein großer Tag! Musst aber morgen früh raus!«
»Schon klar...«
»Na dann...«
Er strich mir kurz über den Kopf, lachte still in sich hinein, und dann verschwand er durch die Tür zum Hof. Wie jeden Abend stieg er die gemauerte Außentreppe zu seiner Wohnung hinauf und löschte dann, mit dem leisen 'Klack' des alten Drehschalters, das Außenlicht.
Ich sah auf meinen Schoß, und da lag es.
Das Messer...
Behutsam balancierte ich es auf meinen Fingerrücken aus, fuhr mit meinem Daumen vorsichtig über die Schneide und konnte mich nicht satt daran sehen. Mann, wie sauber das Heft in die Klinge mündete.
Das war mein Messer.
Und nun war ich allein. Endlich.
Antonio hatte es mir am Morgen überreicht, feierlich, wie es der Brauch war. Im Kreis der Familie.
Zuerst eine kleine, stolze Rede. Sie gehörte stets an den Anfang des Zeremoniells, und dann...
Ich erinnerte mich noch gut daran, wie vor vier Jahren mein Bruder Tomaso an der Reihe gewesen war.
Die Rede, das Glas Vin Santo, das Messer, und dann - der Applaus.
Genau so hatte mein Großvater Matteo diesen Ritus einst ins Leben gerufen, und genau so hatte mein Vater ihn danach übernommen.
Ja, und nun - nun war ich dran: Ich, Luca Lauro, der Viert-Geborene. Ich folgte jetzt, von dieser Stunde an, eben jener Tradition - und würde kochen.
Gut kochen!
Alle hatten sie im Kreis um mich herum gestanden, meine Geschwister Tomaso, Rebecca, Lorenzo und Anna, meine Eltern und Matteo. Und sie alle hatten gespannt auf meine Reaktion gewartet. Sie hatten gelächelt, mir zugenickt, mir die Daumen gedrückt, während Antonio seine Worte an mich richtete und dann, endlich, in dem Moment, als ich das Messer mit beiden Händen und einem erwartungsvollen Lächeln von meinem Vater entgegennahm, da applaudierten sie. Mein Applaus...
Antonio hatte es anfertigen lassen, das Messer, von Pietro Carfagna aus Urbino, und ich wusste - es gab weit und breit keinen besseren dafür.
Nun, neun Stunden später, saß ich also alleine in der Küche - mit jenem Messer.
Es war spät geworden. Die anderen waren entweder zu Bett gegangen oder befanden sich noch im Restaurant, redeten und tranken Wein. Bis auf Rebecca. Sie war mit der Abrechnung beschäftigt, das wusste ich.
Ich genoss den Moment.
Eine einzelne Lampe über dem Pasta-Tisch warf ein weiches, warmes Licht, das sich so völlig von den taghellen Neonröhren unterschied, die sonst die Arbeitsflächen, Herde und Öfen ausleuchteten.
Die Stahltische waren penibel gereinigt, alles stand an seinem Platz, die Arbeitsflächen blitzen wie jede Nacht, und immer noch lag ein feiner Duft von Gebratenem in der Luft. Ich griff zu einem Glas Rotwein, das neben mir auf der Spüle stand, prostete ins Leere und nahm einen Schluck.
Mein 16. Geburtstag lag drei Monate zurück.
Natürlich kannte ich die Küche von Kindheit an, hatte immer schon mitgearbeitet und gekocht, wenn es erforderlich war, aber dieser Tag - der Einstieg in meinen Beruf - bedeutete mir so viel mehr.
All die Töpfe, Kasserollen, die Siebe und Pfannen, Schaumlöffel, Schöpfkellen und Rührlöffel, der Grill, die Pastamaschine, die Scheren und Schneidewerkzeuge, Austernmesser, Trüffelhobel, all sie gehörten nun bald ganz zu meinem Leben, hingen und lagen nicht mehr unerreichbar an Haken oder in Schubladen.
Nicht mehr lange, und ich konnte über sie verfügen, mit ihnen umgehen, und dann mit ihnen die großartigsten Gerichte herstellen. Risotto mit Barolo, Vongole oder Fenchel, getrüffelte Pasta, Orangenlasagne, Fischsuppe, Anchoviscreme, elegante Soßen und rustikale Fleischgerichte, Meeresfrüchteplatten oder geschmorten Fasan. Terrinen und Pasteten - all dies würde unter meinen Händen Gestalt annehmen. Gestalt und Geschmack.
Aus Kinderhänden werden nun die eines Kochs – das war jener Satz gewesen, den Antonio als Einleitung für seine Rede gewählt hatte. Das mit dem 'Kind' sah ich ihm nach.
Ich hatte nun mein Messer. Es war Beleg für das, was er meinte. Und dies war die Hauptsache.
Ich war glücklich.
Unser Restaurant befand sich im alten Kern von Fano an der Via Novli. Was uns von vielen anderen Restaurants unterschied, war, dass wir auf eine lange Tradition und einen sehr guten Ruf bauen konnten. Darauf waren wir natürlich stolz.
Hauptsächlich verdanken wir dies meinem grandiosen Großvater Matteo.
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