Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Unterdessen ging Harald Eriksson mit Stefan Lundvall, einem Makler, das kurze Stück die Västra Torggatan hinauf zum Stora Torget. Mit Ausnahme zweier halb durchgerosteter Autos, die mit laufenden Motoren wie ein Liebespärchen dicht beieinander standen, war der Marktplatz wie ausgestorben. Der Kiosk mitten auf dem Platz war geschlossen.
Sie überquerten den Platz in Richtung Södra Långgatan. Dort verabschiedeten sie sich vor dem Gemeindehaus, das vor der dunklen Kulisse des Parks döste.
Die Uhr zeigte kurz vor zwölf.
Charlotte Eriksson kam als Erste nach draußen und ging den kurzen Weg durch den Garten zur Straße hinunter. Harriet stand abwartend in der Tür. Der gelbe Schein der Außenlampe drang nur bis zur Treppe.
Charlotte stand unter der Straßenlaterne am Gartentor und wartete auf die anderen. Zerstreut nahm sie das Summen ihrer Stimmen wahr, kümmerte sich aber nicht sonderlich um das Gesagte. Das meiste war bereits am Esstisch besprochen worden.
Obwohl man natürlich nie wissen konnte, manchmal ereilte einen das Bedürfnis, sein Herz auszuschütten, gerade im Moment des Aufbruchs. Alles, was sich im Innern angestaut hatte, brach dann in der engen Diele, auf der Treppe oder unten am Gartentor aus einem heraus. Wie damals, als Eva-Karin sich hatte scheiden lassen. Charlotte konnte sich daran erinnern, wie sich die Freundin den ganzen Abend über zusammengenommen hatte, obwohl ihr eigentlich hätte bewusst sein müssen, dass allen auffiel, dass irgendetwas mit ihr los war, denn sie war entweder schweigsam oder übertrieben aufgedreht gewesen. Und gerade, als sie über die Schwelle getreten und auf das Gartentor zugegangen waren, konnte sie nicht mehr an sich halten. Es war unter null und eisig gewesen. Auch damals hatten sie Harriet besucht. Harriet hatte sie resolut wieder ins Haus geschoben und eine weitere Flasche Wein geöffnet.
Solche Dinge vertiefen die Freundschaft, dachte Charlotte. Die Erinnerung versetzte sie fast in Euphorie.
Endlich waren auch die anderen aus dem Haus gekommen. Charlotte wusste, dass Harriet noch so lange draußen warten würde, bis sie ihre Fahrräder aufschlossen oder sich zu Fuß auf den Weg machten. Sie war nicht der Mensch, der die Tür hinter dem letzten Gast zuwarf und in die Küche stürzte, um aufzuräumen.
Sie gingen gemeinsam in der herbstlichen Dunkelheit das kurze Stück zum Låglandsvägen. Außer Charlotte Eriksson waren noch Alena Dvorska, Åsa Feldt und Susanne Lundwall mit von der Partie. Eva-Karin Laursen hatte sich bereits früher verabschiedet, da sie am nächsten Tag zeitig aufstehen musste.
Es war ein ungewöhnlich milder Tag Anfang Oktober, an dem die Sommerwärme noch einmal zurückgekehrt war.
Alena Dvorska hatte den weitesten Heimweg, sie musste knapp zehn Kilometer auf dem Gamla Kalmarvägen südwärts nach Sörvik fahren. Charlotte war froh, dass sie nur ein kurzes Stück zu Fuß gehen brauchte.
Als sie sich von allen verabschiedet hatte und in die Stengatan abgebogen war, wallte die Wehmut in ihrem Innern auf. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, um einem Weinkrampf vorzubeugen, merkte aber, dass ihr das nicht gelang, und ließ den Tränen freien Lauf. Gleichzeitig verzogen sich ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln, denn das Gefühl der Auserwähltheit und des Trostes war ebenfalls präsent.
Sie hatte schon immer nahe am Wasser gebaut. Sie genehmigte sich ab und zu ein Tränenstündchen, wenn sie das Bedürfnis überkam. Aber immer nur allein. Mit rotgeweinten Augen kam sie sowohl an ihrem Arbeitsplatz als auch zu Hause aus dem Badezimmer. Inzwischen fragte niemand mehr, wie es ihr ging. Schließlich war sie nach ihren Heulattacken stets zuvorkommend und geradezu munter und arbeitete weiter, als sei nichts geschehen.
Leicht vornübergebeugt, die Hände tief in den Taschen vergraben und mit gesenktem Kopf schritt sie immer rascher aus. Sie wollte ausgeweint haben, wenn sie zu Hause ankam. Sie verkraftete Haralds müden Blick nicht. Nicht schon wieder.
Sie hatte so viel vor.
Sie spürte in der einen Tasche ihre Hausschlüssel und die Metallhülse ihres Lippenstifts, in der anderen hielt sie ihr Handy wie ein Stress-Ei umklammert. Der kleine Rucksack aus weichem Nappaleder, den sie auf dem Kopenhagener Flughafen gekauft hatte, hing zu Hause in der Diele. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die sich ohne Tasche nackt fühlten, empfand sie ein Gefühl der Freiheit. Nichts behinderte ihre Bewegungen.
Vereinzelt brannte Licht
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