Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
Schädelverletzung recht ereignislos und fand so gut wie gar nicht mehr statt. Wie lange würde das noch so weitergehen? Vielleicht für immer? Das klang grausam.
Kaum ein Jahr war verstrichen, seit Cecilia im Morgengrauen von einem Fremden in einem der ruhigeren Wohnviertel in Lund brutal niedergeschlagen worden war. Wahrscheinlich lag sie eine Weile da, ehe sie von einem Passanten gefunden wurde. Diesem Mann dankte Veronika oft im Stillen. Natürlich hatte sie sich auch persönlich bei ihm bedankt. Er war verlegen und zu Tränen gerührt gewesen über die Dankbarkeit und darüber, dass er der jungen Frau das Leben gerettet hatte. Dankbarkeit sei heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, hatte er gemeint.
Überhaupt gab es, was Cecilia betraf, vieles, wofür man dankbar sein konnte. Dass sie nicht im Wald überfallen worden war, dass sie nur einige Stunden und nicht Tage schutzlos dagelegen hatte und dass es eine relativ warme Augustnacht und nicht eine feuchte, kalte Winternacht gewesen war, mit dem schneidenden Wind, der einem in Skåne durch Mark und Bein pfiff. Cecilia wurde in der Neurochirurgie der Uniklinik Lund notfallmäßig operiert. Sie erhielt dort die erdenklich beste Pflege, und alles verlief gut. Aber trotzdem war jetzt alles anders.
Um das Opfer zu Fall zu bringen, schlugen die Angreifer meist auf den Schädel. Und um sicherzugehen, dass man bleibende Schäden verursachte, falls sie nicht ohnehin zum Tod führten.
Die Narben auf der Kopfhaut waren nicht mehr zu sehen, das Haar war blond und dicht nachgewachsen, aber das war eigentlich eine Bagatelle. Es ging in all seiner Erbärmlichkeit um den kleinen Unterschied, den alle, die Cecilia vor dem Unglück gekannt hatten, als winzige, aber doch fremde Komponente ihrer früher so komplexen und »normalen« Persönlichkeit empfanden. Wir sind wie Seismographen, dachte Veronika. Wir spüren selbst die kleinste Veränderung der Persönlichkeit.
Gehirnschäden brauchten Zeit zum Verheilen, oft Jahre. Diese beiden grauweißen Hälften, die von den Schädelknochen umschlossen wurden, waren faszinierend. So beurteilten alle, die sich mit dem menschlichen Körper beschäftigten, diese vergleichsweise weiche Masse, die aus dicht gepackten, von Stützgewebe umgebenen Nervenzellen bestand.
Hab Geduld!, hatte Veronika sich gesagt, so wie sie das immer und immer wieder ihren Patienten sagte. Der Körper muss die Chance erhalten zu heilen. Schließlich ging es nicht nur darum, eine Mutter oder eine Schraube auszutauschen.
Das Handy fühlte sich an ihrem Ohr immer heißer an. Sie machte ihrer Tochter alle möglichen Vorschläge, womit sie sich die Zeit vertreiben könnte.
Mach einen Spaziergang, versuch, ein Buch zu lesen, geh was Leckeres einkaufen und mach dir dann einen Tee oder einen Kaffee.
Cecilia war recht unbeeindruckt. Sie sagte kaum etwas, gelegentlich brummte sie uninteressiert.
»Vielleicht willst du ja auch ins Kino gehen oder dir eine DVD ansehen?«, fuhr Veronika mit ihren Vorschlägen fort.
»Nee … keine Lust.«
»Warum nicht?«
»Zu anstrengend.«
»Kannst du nicht eine von deinen Freundinnen anrufen«, meinte Veronika schließlich.
Cecilias lustlose Atemzüge am anderen Ende.
»Und wen?«, fragte sie schließlich.
Gott! War niemand mehr übrig? Cecilia hatte doch früher so viele Freunde gehabt!
Veronika stellte sich eine bittere Frage, die sie die ganze Zeit hatte verdrängen wollen. Wenn diese Freunde jetzt nie mehr zurückkamen? Sein eigenes Kind als Einzelgängerin leben zu sehen schmerzte. Isoliert, einsam, allein gelassen.
Nein!
Aber auch ein einsames Leben kann lebenswert sein, dachte sie dann. So schlimm war das auch wieder nicht! Wer hat schon das Recht, darüber zu urteilen? Der Mensch war dafür geschaffen, sich anzupassen. Das erlebte sie oft durch ihre Patienten, die ohne Brust, Dickdarm, Haare oder mit nur einem Arm oder Bein weiterleben mussten.
Doch das waren eigentlich unsinnige Vergleiche. Das waren nur Worte. Trotzdem fuhr sie mit ihrem munteren Wortschwall fort, denn irgendwie war es so am einfachsten. Aber sie hätte leiser sprechen sollen. Mit weicherer Stimme. Meine arme, arme Kleine.
Doch als sie Cecilia vorschlug, nach Oskarshamn umzuziehen, damit sie ihrer Tochter besser helfen könne, protestierte sie. Das wollte sie nicht, und das war auch gut so. Ein Zeichen der Gesundung schimmerte kristallklar eine Sekunde lang auf.
Nach wie vor könne sich vieles verbessern, hatte man in der Rehaklinik Orup
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