Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
liebsten trug sie praktische, pflegeleichte Hosen, weite Tweedröcke und schlichte Oberteile. Doch auch wenn sie den Tee nun wider Erwarten nicht in Allerby House einnehmen würde, war sie froh, sich gut gekleidet zu haben, denn für diese feine Lokalität war ihr Kostüm genau richtig.
In der großzügigen, hellen Lobby wurde sie von einem Angestellten begrüßt, der sie nach ihren Wünschen fragte.
„Lady Carter-Jones erwartet mich“, antwortete Mabel, und der Herr führte sie in das Restaurant.
Gewohnt, eine neue Umgebung mit wenigen Blicken zu erfassen, sah Mabel sich um. Nur wenige Tische waren an diesem Sonntagnachmittag besetzt. Die Gäste waren ältere Herren und Damen, die zu zweit oder zu dritt zusammensaßen und angeregt plauderten. Mabel überlegte, wer von ihnen wohl Lady Carter-Jones sei, da steuerte der Angestellte einen Ecktisch an, an dem eine einzelne junge Frau saß. Sie war sicher noch keine dreißig Jahre alt und passte wenig in das Ambiente des eleganten Restaurants. Der Pony ihres kurzgeschnittenen, aschblonden Haares war mit roten Strähnen durchzogen. Die enge Jeans brachte ihre schlanke Figur gut zur Geltung, und der hellblaue Baumwollpullover spiegelte die Farbe ihrer Augen wider. Ihr herzförmiges, hübsches Gesicht war ungeschminkt, und als sie Mabel erwartungsvoll zulächelte, zeigte sie zwei Reihen schneeweißer, perfekter Zähne.
Mabel hatte sich eine völlig falsche Vorstellung von Lady Carter-Jones gemacht, denn sie hatte eine gesetzte ältere Dame erwartet. Sie erinnerte sich an Victors Worte, dass sie sich nicht derart in Schale hätte werfen müssen, und verstand nun, was der Tierarzt gemeint hatte. Trotzdem war sie froh, sich ihrem Alter angemessen gekleidet zu haben.
„Miss Clarence?“ Lady Carter-Jones’ Händedruck war fest und warm. „Es freut mich, dass Sie gekommen sind. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Einen Tee, nicht wahr?“ Die junge Frau sah zu dem Kellner. „Und bringen Sie zur Auswahl bitte die große Kuchenplatte.“
„Vielen Dank für die Einladung“, sagte Mabel und setzte sich. Da sie kein Mensch war, der mit seinen Gefühlen hinter dem Berg hielt, fuhr sie fort: „Allerdings sehen Sie mich überrascht, dass wir uns hier treffen. Ich dachte, ich sollte nach Allerby kommen, Mylady.“
Lady Carter-Jones lächelte entschuldigend. „Als Erstes sollten wir diese Förmlichkeiten lassen. Bitte, nennen Sie mich Michelle, und ich darf Sie doch Miss Mabel nennen, nicht wahr?“
„Gern, Lady Michelle“, sagte Mabel und wunderte sich nicht, dass Michelle ihren Vornamen und Familienstand kannte. Was immer der Grund dieses Treffens war – Michelle hatte bestimmt Erkundigungen über sie eingezogen. Die junge Frau entsprach zwar gar nicht ihren Vorstellungen von der Herrin eines herrschaftlichen Besitzes wie Allerby House, sie war ihr aber auf Anhieb sympathisch. Sie ließ Mabel auch nicht im Unklaren, warum sie diesen Treffpunkt gewählt hatte, und kam, sobald der Tee serviert war und die Damen sich aus dem reichhaltigen Angebot den Kuchen ausgesucht hatten, gleich zur Sache.
„Zuerst, Miss Mabel, müssen Sie mir versprechen, dass niemand von unserem Gespräch etwas erfährt“, sagte Michelle und senkte ihre Stimme, obwohl die anderen Gäste viel zu weit weg saßen, als dass jemand das Gespräch hätten belauschen können. „Aus diesem Grund wollte ich Sie auch in diesem Hotel treffen, denn die Wahrscheinlichkeit, um diese Uhrzeit hier auf Bekannte zu treffen, ist gering.“
Gespannt straffte Mabel ihren Körper, ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Vorhin hatte sie im Spaß zu Victor gesagt, dass die Lady vielleicht Hilfe bei einem ungeklärten Verbrechen benötigte. Sollte sich der Verdacht jetzt etwa bestätigen oder warum wollte Michelle nicht, dass man sie zusammen sah? Mabel sollte es gleich erfahren.
„Es ist nämlich so“, fuhr Michelle fort. „Ich möchte meinen Mann mit einer Geburtstagsparty überraschen, und diese soll auf Higher Barton stattfinden. Sie werden verstehen, Miss Mabel, dass ich das nicht auf Allerby organisieren kann, denn sonst wäre es ja keine Überraschung. Da ich von Ihren Veranstaltungen auf Higher Barton nur das Beste gehört habe, dachte ich, ich frage Sie einfach mal, ob Sie das machen würden. Es darf nur niemand davon erfahren, sonst wäre die ganze Überraschung im Eimer.“
Mabel wusste nicht, ob sie erleichtert oder ein wenig enttäuscht war. Also kein Verbrechen! Dass die Sprache und
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