Magma
wo Norden war. Er klopfte gegen das grün lackierte Gehäuse, doch der Tanz hörte nicht auf. Vielleicht gab es hier irgendwo etwas Metallisches oder eine Erzlagerstätte, auch wenn diese Vorstellung absurd war. Um ihn herum waren massive Kalkbänke, da war kein Metall. Vielleicht war das kleine Mistding einfach nur kaputt. Heute schien so ein Tag zu sein, an dem alles geschehen konnte, mochte es auch noch so absurd erscheinen. Er steckte den Kompass wieder ein, hockte sich auf einen nahe gelegenen Felsvorsprung und nahm einen Schluck aus seiner Feldflasche. Erst mal zur Ruhe kommen, sagte er sich. Nicht wieder in Panik verfallen.
Mondari griff in seinen Rucksack und zog eine Tüte mit Rosinenkeksen heraus, die ihm die dickliche Wirtin aus der Pension mitgegeben hatte. Gedankenverloren knabberte er daran, während er sein Notizbuch zückte und es aufschlug.
18 . Mai 1954
, stand da zu lesen.
Habe meine Vorbereitungen zum Aufstieg auf die Forcella del Mièl abgeschlossen. Werde noch etwas essen und dann früh zu Bett gehen. Habe vor, spätestens um 6 : 30 Uhr mit dem Aufstieg zu beginnen, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück im Tal zu sein.
Das war gestern Abend gewesen, als noch keine Zweifel an ihm nagten. Er klappte das Buch zu und steckte es wieder ein. Was sollte er jetzt tun? Theoretisch konnte sich das schlechte Wetter genauso schnell verziehen, wie es gekommen war.
Theoretisch.
Andererseits hatte er auch schon Geschichten gehört, in denen die Gipfel der Berge wochenlang in Wolken gehüllt waren. Sollte er es darauf ankommen lassen und abwarten? Oder sollte er versuchen, den Weg, den er heraufgekommen war, wiederzufinden? Beide Optionen behagten ihm nicht, zumal er sich offensichtlich nicht auf seinen Kompass verlassen konnte. Schließlich entschied er, seinem besorgten Geist einige Minuten Ruhe zu gönnen und erst noch ein wenig hier zu verweilen. Die Steine um ihn herum sahen vielversprechend aus, und er konnte genauso gut hier mit ihrer Bestimmung beginnen. Das lenkte ihn auch von der Vorstellung ab, was geschehen würde, wenn es zu regnen begann.
Er schob sich noch einen Keks in den Mund, dann verschloss er den Vorratsbeutel und griff nach seinem Geologenhammer. Vorn spitz und hinten flach zulaufend und mit einem gummierten Eisenstiel versehen, gehörte er zum unabdingbaren Rüstzeug eines jeden Geologen. Genauso wie die Härteskala, ein Sortiment Steinmeißel, eine Messtisch-Karte und das Feldbuch, in dem jeder Fund gewissenhaft verzeichnet wurde. Wenn man dann noch den Proviant mit einberechnete, den man für einen Tag benötigte, kam man auf ein Gewicht von gut und gern sechs Kilogramm, etwaige Gesteinsproben nicht mit eingerechnet. Kein Klacks, wenn man den ganzen Tag unterwegs war.
Er begann seine Untersuchung an dem rundlichen Steinsockel, auf dem er gesessen hatte. Einige gezielte Hiebe, und schon hatte er einen schönen Brocken abgeschlagen. Mit kundigem Auge untersuchte er die weißliche Bruchstelle. Eindeutig eine Riff-Fazies. Ammoniten, Krebse, Seelilien, Reste von Goniatiten. Dazwischen schön ausgebildete Kalzitkristalle, eingebettet in ein Gemisch aus verfestigten Muschelschalen und Korallenstämmen. Späte Trias oder beginnender Jura. Genauer konnte er das jetzt noch nicht sagen. Nicht, ohne geeignete Leitfossilien zu finden. Erst ein Blick durch das Mikroskop seines Kollegen Professor Minghella, eines der angesehensten Mikropaläontologen Italiens, würde eine genauere Datierung ermöglichen. Die Einschlüsse waren kaum deformiert, was darauf hindeutete, dass dieses Plateau
en Bloc
gehoben wurde und somit die Gebirgsfaltungsphase relativ unbeschadet überstanden hatte. Mondari nickte grimmig. Der Tipp seines Studenten war gut gewesen, der Junge würde einen lobenden Eintrag ins Seminarbuch erhalten. Er zerlegte den Brocken mit zielsicheren Schlägen in fünf handliche Stücke, steckte die zwei schönsten ein und ließ den Rest fallen. Dann widmete er sich wieder dem Sockel. An der Stelle, an der er den Brocken abgeschlagen hatte, schimmerte ein andersfarbiger Untergrund hervor. An sich war das nichts Ungewöhnliches. Korallen hatten die Angewohnheit, ihre Kalkpaläste auf den verlassenen Stätten älterer Korallen zu bauen, die sich in Farbnuancen durchaus unterscheiden konnten. Schicht für Schicht wuchsen die Siedlungen so in die Höhe, teilweise bis zu einem halben Meter pro Jahr. Auch heute noch gab es aktive Korallenbänke, wie zum Beispiel das Große Barriere-Riff vor
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