Magnolia Haven 01 - Morgendammerung
basta.«
Olivia schwieg, doch der Blick, mit dem sie Joanna bedachte, sprach für sich. Die Blonde hatte gestern bereits keinen Hehl aus ihrer Abneigung gemacht, soeben war sie allerdings endgültig zu einer Feindin geworden, das war Joanna sofort klar.
Da Olivia spürte, dass Jake sie beobachtete, setzte sie rasch ein verbindliches Lächeln auf. »Wo ist Tom denn?«, wechselte sie schnell das Thema.
»Geschäftlich unterwegs«, war Jakes knappe Antwort.
Diese Auskunft gefiel Joanna überhaupt nicht. Tom war der Einzige hier gewesen, der ihr halbwegs normal und nett erschienen war, abgesehen von Michael. Jetzt war er ohne ein Wort zu sagen verschwunden und hatte sie mit seinem düster wirkenden Bruder und dessen unfreundlicher Frau hier alleine zurückgelassen.
»Hoffentlich kommt er bald zurück«, dachte sie im Stillen, und versuchte, die unbestimmte Angst in ihrem Inneren zu unterdrücken.
Sie konzentrierte sich auf ihren Teller, was ihr nicht weiter schwerfiel, denn es war wieder das gleiche bedrückende Schweigen eingekehrt, welches bereits am Sonntag alle drei gemeinsamen Mahlzeiten begleitet hatte.
Umso erschrockener war sie, als Jake jetzt auf einmal das Wort an sie richtete.
»Hat Tom dir gesagt, was deine Aufgaben als Kindermädchen für Michael sein werden?«
Ohne ihn anzusehen schüttelte sie stumm den Kopf und hörte, wie er leise seufzte.
»Gut, dann werde ich das wohl übernehmen müssen. – Die Vormittage verbringt Michael mit Lernen, zu diesem Zweck kommt täglich außer samstags und sonntags ein Hauslehrer hierher. Diese Zeit kannst du für dich nutzen. Nach dem Mittagessen betreust du Michael bei den Hausaufgaben, und anschließend verbringst du seine Freizeit mit ihm. Wir wohnen hier sehr abgelegen, daher hat er nur selten Freunde zu Besuch, es geht also vorwiegend darum, dass du ihm ein wenig Gesellschaft leistest. Nach dem Abendessen hast du wieder frei, ebenso wie an den Wochenenden. Du kannst dich im Haus aufhalten, wo du möchtest, solange du niemanden störst. Falls du in die Stadt fahren willst, kannst du dir einen Wagen leihen.«
Er hatte das alles völlig sachlich heruntergespult und schien jetzt fertig zu sein, also nickte Joanna zustimmend.
»In Ordnung.«
»Gut. Wenn du irgendwelche Fragen oder Wünsche hast, kannst du dich an Olivia oder mich wenden, solange Tom nicht da ist.«
Geräuschvoll faltete er eine Tageszeitung auseinander und verschanzte sich dahinter, was ihr deutlich machte, dass das Thema somit für ihn erledigt war.
Unter Olivias kritischen Blicken beendete sie ihr Frühstück, und als Michael aufstand, entschuldigte Joanna sich und folgte ihm.
»Wo findet dein Unterricht statt?«
»Wir haben oben einen Raum dafür«, erklärte er ihr. »Möchtest du ihn sehen?«
»Ja, gerne.«
Gemeinsam stiegen sie die breite, geschwungene Treppe hinauf, und zum wiederholten Male seit ihrer Ankunft bewunderte Joanna die luxuriöse Eleganz des Hauses. Überall an den Wänden hingen Gemälde, kostbar aussehende Vasen standen auf viktorianischen Tischen. In der Mitte der Halle prangte ein riesiger Kristallleuchter, der an einer schweren Metallkette von der hohen Decke herabhing. Der Hallenboden war mit Marmor gefliest, die Wohnräume besaßen alle blankpolierte Mahagoniböden, auf denen dicke, flauschige Teppiche die Schritte dämpften.
Noch immer konnte sie es kaum fassen, dass sie jetzt hier wohnte. Selbst die Räume im Dienstbotenflügel wirkten wie ein Palast im Vergleich zu dem schäbigen Zimmer, das sie mit ihrer Mutter im »Red Lantern« bewohnt hatte.
Mit einem leisen Seufzen stellte sie fest, dass sie sich beinahe wie Aschenputtel vorkam – aber eben nur beinahe. So verlockend dieser ganze Reichtum war, er ließ sie dennoch nicht vergessen, dass sie hier nur geduldet war. Und er konnte auch nicht über das merkwürdig unterkühlte Verhalten hinwegtäuschen, das die Mitglieder der Familie Prescott an den Tag legten.
Sie waren in der oberen Etage angekommen und Michael öffnete die Tür zu einem der Zimmer. Als Joanna hineintrat und sich umsah, stieß sie einen kleinen überraschten Laut aus. Es sah hier fast aus wie in einem richtigen Klassenraum. An einer Wand war eine riesige Tafel angebracht, an einer anderen hing eine große Weltkarte.
In einem Bücherregal gab es alle möglichen Schulbücher, angefangen von der ersten Klasse bis hin zu Nachschlagewerken, die eher für Studenten geeignet schienen. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit mehreren
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