Manuskript des Teufels
mit mir herum schleppe.“
Leano war baff, aber er bemühte sich, cool zu bleiben.
„Lieber Leano“, fuhr Barbaro fort, „an diesem Tisch werden gleich drei Personen zum ersten Mal gemeinsam speisen, obwohl sie schon seit über zwei Jahrzehnten familiär eng miteinander verbunden sind. Aber die Hochachtung vor der Würde eines Menschen, der uns allen bis zu seinem Tod eng verbunden war, ließ nicht zu, dass nicht schon lange zusammen ist, was zusammen gehört.“
Warum redete er so kryptisch? Leano war verwirrt. Er hatte die Worte aus ehrwürdigem Munde zwar gehört, aber beim besten Willen nicht verstanden, und war nicht in der Lage, eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen. Er war absolut sprachlos.
Vittorio befreite Leano aus der hilflosen Ratlosigkeit: „Auf dem Platz links neben dir wird eine Frau sitzen, die von Sandkastenzeiten an die große Liebe meines Lebens war. Sie war noch sehr jung und ich stand damals vor einer großen Karriere. Das bedeutete, dass ich Kalabrien verlassen musste und pausenlos auf allen Kontinenten dieser Welt unterwegs war. Am Tag des Abschiedes haben wir uns, wie junge Liebende das in vergleichbaren Situationen tun, ewige Treue geschworen. An diesem so traurigen und schmerzhaften Tag ahnten wir beide nichts von ihrer Schwangerschaft. Als wir für viele Jahre auseinandergingen, trug sie ein Kind von mir unter ihrem Herzen. Und, was soll ich dir sagen? Diese Frau liebte mich so sehr, dass sie meinem beruflichen Aufstieg nicht im Wege stehen wollte. Sie hat mir bis vor kurzem verschwiegen, dass ich Vater eines stolzen jungen Mannes bin.“
Barbaro gab einer der Servicedamen mit einem leichten Kopfnicken ein Zeichen.
„Ein bewegender Augenblick steht vor uns. Ich glaube, der edelste aller Tropfen ist gerade würdig genug, dieses Wunder zu begleiten.“
Eine der jungen Damen verschwand für einen Augenblick, kam nach einer Minute zurück und ließ Barbaro einen prüfenden Blick auf das Etikett werfen. Während sie das perlende Gold in die drei Champagner-Gläser fließen ließ, bemerkte Vittorio stolz: „Aus dem Hause Moet & Chandon, ein 95er, nach einem französischen Benediktiner Mönch, benannter Dom Pérignon Oenothèque.“
Der heute feierlich und elegant gekleidete, mächtigste Mann des Weltunternehmens trat neben die zweite Tür des Raumes. Die Augen, mit denen Barbaro Leano jetzt anschaute, zeigten einen feuchten Schimmer und eine Träne verlor sich auf seiner Wange.
Er öffnete die Tür, reichte einer elegant gekleideten Dame die Hand und geleitete sie an den Tisch.
Die Dame und Vittorio schauten beide erwartungsvoll auf den jungen Mann, der sich erhoben hatte und wie versteinert mit großen Augen die vornehme und bildhübsche Erscheinung anstarrte.
Leanos Herz begann zu pochen. Er wollte aufstehen, doch seine Beine versagten den Dienst. Diese vornehme Eleganz und klassische Schönheit hatte er nie zuvor an seiner Mutter wahrgenommen. Verwunderung und Staunen beseelten ihn. War es das extravagante schlicht-schöne Georgio-ArmaniKleid, waren es die eleganten Pumps von Sergio Rossi oder die ungewohnte schwungvolle Long Bob Frisur?
„Sie ist die Frau, die vor vielen Jahren auf ewig mein Herz erobert hat“, sagte Vittorio Barbaro. „Leano, ich bin der Vater ihres Kindes. Leano, ich bin dein Vater.“
58
D’Aubert atmete erleichtert auf. Die unselige Treibjagd auf sein Manuskript hatte ein Ende gefunden. Andererseits quälten ihn Enttäuschung und Wut. Die weltweite Anerkennung und Würdigung versprechende, jahrelange Zeit und Kraft kostende harte Arbeit war im wahrsten Sinne des Wortes im Nichts verpufft.
Zwar lag die unendliche Fülle von Untersuchungs- und Forschungsergebnissen noch vor. Allein ihm fehlte im Augenblick die Moral für die Sisyphusarbeit einer erneuten Aufbereitung. Dieser Mammutaufgabe würde er sich, wenn überhaupt, später einmal widmen.
Ablenkung, Freude und nette Menschen, danach sehnte er sich jetzt. Aus dieser Laune heraus hatte er mit seiner geliebten Maria beschlossen, einen stimmungsvollen und genussreichen Abend mit wirklich guten Freunden zu verbringen.
Maria war glücklich über diesen Vorschlag. Vor allem, weil Stephan ihr in den letzten Monaten auffallend wenig Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
Die beste Gelegenheit, überlegte D’Aubert, sein Versprechen, das er Manfred Meyer, seiner Frau Sigrid, seinem ehemaligen Trainingspartner Jochen Müller und dessen Frau Heidi gegeben hatte, einzulösen. Beide Paare
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