Mea Suna: Seelensturm Band 1 (German Edition)
Augen wieder normalisierten, wusste ich, dass es vorbei war. Zögernd ließ ich ihn los.
»Bist du verrückt geworden?«, brüllte er mich an, als ihm klar wurde, was ich getan hatte.
»Willst du uns umbringen? Was ist los mit dir?«
Er war außer sich vor Wut und drängte mich von sich. Ich richtete mich auf und streckte ihm helfend meine Hand entgegen, die er zuerst ignorierte und dann wütend weg schlug. Seine Wut konnte ich verstehen. Für ihn war es inakzeptabel, die Illustris nicht zu töten. Er wusste genau, was auf dem Spiel stand, wenn wir es dieses Mal nicht schafften, ohne Aufsehen zu erregen, das Mädchen zu töten.
»Wieso hast du das getan?«, schrie er wieder aufgebracht.
Die Wahrheit konnte ich ihm nicht sagen, noch nicht. Er wusste von meinen bisherigen Aussetzern und Zweifeln nichts, die ich seit Monaten mit mir trug. Trotzdem musste mein Verhalten für ihn äußerst seltsam sein.
»Ich weiß, was ich tue, Matteo«, gab ich knurrend von mir.
»Du weißt, was du tust? Dann erklär es mir. Was soll das alles?«, wollte er wissen.
Ich hörte seinen Unglauben und seine Fassungslosigkeit. Er brauchte eine Erklärung. Irgendetwas, womit ich ihn zum Schweigen brachte. Jedoch war dies nicht der richtige Zeitpunkt. Ich war zu durcheinander und hatte für all das selbst keine Erklärung.
Ich drehte mich um, ließ ihn einfach stehen und ging den Weg zurück, von dem ich gekommen war.
»Luca!«, rief er mir laut nach. Unverständnis und Verwunderung über mein Verhalten vernahm ich aus seiner Stimme.
»Bleib gefälligst stehen!«, befahl er mir weiter.
Matteo konnte sehr hartnäckig sein, wenn er wollte. Und in diesem Fall würde er keine Ruhe geben, bis er eine plausible Erklärung von mir hatte.
Schon hörte ich seine kraftvollen, schnellen Schritte hinter mir. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, hatte er mich eingeholt und packte mich so, dass wir beide ins Straucheln kamen.
»Matteo! Lass mich los«, presste ich zornig.
Er wusste, dass er in einem Ernstfall keine Chance gegen mich hätte, doch er probierte es immer wieder aus. Körperlich und kämpferisch war er mir unterlegen, schon immer. Wir trainierten unseren Körper schon seit unserer Kindheit, wobei Matteo in den Zweikämpfen zwischen uns Brüdern meist den Kürzeren zog. So auch jetzt. Er wusste genau, dass er mich nicht lange halten konnte. Beide Arme hatte er um mich geschlungen und versuchte, mich auf den Boden zu werfen.
Langsam kochte auch in mir der Ärger über, den ich schon viel zu lange unterdrückt hatte. Mit einer kurzen Bewegung befreite ich mich aus seiner Umklammerung und packte ihn stattdessen am Kragen. Wie so oft war er überrascht von meiner Schnelligkeit. Ich presste ihn unsanft an den nächsten Baumstamm und sah ihn verärgert an. Das Holz knackte kurz beim Aufschlag, doch noch hatte ich meine Kraft unter Kontrolle.
»Hör zu, Matteo. Wir dürfen in den nächsten Tagen kein Aufsehen erregen.«
»Aber es wäre so leicht gewesen, sie hier gleich zu erledigen. Warum hast du das verhindert?«, stöhnte er vor Anstrengung.
Es gab viele Gründe, warum ich das tat. Doch das eigentliche Motiv konnte ich ihm nicht sagen. Dafür kannte ich selbst zu wenige Details. Irgendetwas musste ich ihm als Antwort jedoch anbieten, sonst würde er nie aufhören, mich zu löchern. Und das Risiko, dass er uns dadurch in Gefahr brachte, war hoch. Schließlich hatte er keine Ahnung, welche Gedanken mich quälten und schon gar nicht, welche Entdeckungen ich in den letzten Tagen gemacht hatte.
»Du hast den Unfall schon vermasselt. Wenn ich zugelassen hätte, dass du sie hier und jetzt tötest, dann hätten wir wirklich ein Problem. Diese Illustris wird geschützt von einer Person, die nicht unbekannt ist. Außerdem weiß dieser ganze verdammte Ort schon von dem Unfall. Es wäre sehr unklug gewesen, wenn man sie hier mit abgetrenntem Kopf gefunden hätte.«
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, als ihm klar wurde, auf welch gefährlichem Terrain wir uns befanden. Ich ließ ihn los, worauf er den Kragen seiner Jacke aufrichtete.
»Wir müssen ab jetzt viel vorsichtiger sein und da gehört es eben dazu, dass wir mehr Geduld aufbringen. Wenn diese Sache hier schief geht, sind wir beide tot. Verstehst du das, Matteo?«
Erst nickte er schweigend, dann ließ er wie ein kleiner Schuljunge, der etwas ausgefressen hatte, seinen Kopf hängen. Ich wusste schon, dass es ihm leid tat, doch unsere Lage war viel zu ernst, um weitere Versuche zu
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