Meerhexe
Häufchen. Das eine ist mein Badehandtuch (jadegrün), das andere gehört Heidi (bunt). Heidi ist noch viel fetter als ich. Mein Glück, denn es lenkt die anderen von mir ab.
Ich war als Allererste im Wasser und habe die Blicke gesehen und das Gekicher gehört, als Heidi angewackelt kam. Sie ist außerdem keine gute Schwimmerin. Ängstlich hat sie gewartet, bis alle drin waren. Das war sehr unklug von ihr. Sie hätte es so machen sollen wie ich - nix wie rein. Stattdessen hörte sie sich sogar noch eine freundliche Extraaufforderung von Frau Mallich an, bevor sie umständlich ihr Badetuch ablegte. Das Gekicher wurde unüberhörbar. Heidi guckte keinen an und nahm ihren ganzen Mut zusammen. Platsch!, machte es.
Einer von den Jungs grölte: »Scheiße, das Bad läuft über!«
Ich war froh, dass ich nicht an Heidis Stelle war. Das Wasser schwappt übrigens ständig aus dem Becken. Nicht zuletzt wegen Fabian, diesem ungeheuren Dicksack, an dem alles wabbelt und der trotzdem wie ein Gummiball raus- und reinhüpft, immerzu, mit seinem nervigen Angebergeschrei. Hat der Typ noch nie in einen Spiegel geschaut? Und warum grölen sie eigentlich bei ihm nicht?
Vier Mädchen sehen nur zu. Das sind Franziska und Denise, die ihre Tage haben. Außerdem Rahime und Aysun, die am Schwimmen nicht teilnehmen müssen, weil sie sich vor Jungen nicht ausziehen.
Franziska und Denise räkeln sich auf der Bank in der Sonne. Rahime und Aysun hocken im Schatten und schwitzen bestimmt auch dort noch unter ihren vielen Tüchern und Röcken. Also, ehrlich gesagt möchte ich lieber doch keine Muslimin sein.
Frau Mallich ist heute nicht im Badeanzug. Vielleicht hat sie auch ihre Tage. Sie lässt uns auf Zeit schwimmen. Ich gebe mein Bestes, ich will eine gute Note. Nur drei Jungen sind schneller als ich, die Mädchen liegen bei der Auswertung alle hinter mir. Was bestätigt, dass man im Wasser nicht unbedingt stromlinienförmig sein muss. (Sind Walrösser eigentlich stromlinienförmig?)
Ich sehe, wie Heidi unbeholfen aus dem Wasser klettert und ihr Badetuch an sich reißt. Dann wickelt sie sich hinein und klappert mit den Zähnen, als würde sie fürchterlich frieren. Sie lässt sich als bunter Koloss am Beckenrand nieder, am Ende der Reihe der anderen Mädchen, die in der Sonne sitzen, kein Handtuch brauchen und mit den Beinen baumeln.
Frau Mallich fordert alle auf, die es können, einen Startsprung vorzuführen. Damit die anderen daraus lernen. Ein paar Mädchen beteiligen sich und viele Jungen. Der Rest schaut zu. Nicht dass ich keinen Startsprung könnte. Aber dazu müsste ich mich deutlich sichtbar auf den Startblock stellen. Nein, danke.
»Sag mal, Madeleine«, Britta stößt mich mit der großen Zehe an den Oberarm, was möglich ist, weil sie am Beckenrand sitzt und ich im Wasser stehe. Ich bin dort schon festgewachsen. »Wird’s dir nicht langsam kalt?«
»Ooch, nee. Wie du weißt, hab ich eine schützende Speckschicht.« (Komisch, ich kann leichter darüber reden, als dass ich mich zeige.)
Britta kichert. Ich grinse schief und unterdrücke einen Zitterkrampf, sonst gibt’s hier nämlich gleich hohen Seegang, an meinen Schultern kräuselt sich schon das Wasser. Wenn ich nicht erfrieren will, muss ich jetzt wohl oder übel meinen neuen, sportlichen schwarzen Badeanzug vorführen, der an mir so sportlich aussieht wie an einem Gymnastikball. Bevor ich mich aber dazu aufraffen kann, schwimmt plötzlich was großes Grünliches auf der Wasseroberfläche. Es bewegt sich, saugt sich voll und schwappt dann unter Wasser hin und her.
Mein Blick fährt dorthin, wo mal ein jadegrünes Häufchen am Beckenrand lag. Das Häufchen ist weg. Dafür steht Simon an der Stelle, verschränkt lässig die Hände auf dem Rücken, guckt nach den Vögeln und schlendert zu drei anderen Jungen hinüber. Die erwarten ihn mit breitem Grinsen.
»Simon, du Schwein!«, brülle ich. So was macht mich echt heiß. Ich bin aus dem Becken, bevor noch mein Schrei verklungen ist.
Simon versteckt sich hinter seinen Freunden. Das soll ihm nichts nützen. Ich komme, ich bin bereit, sie alle niederzuwalzen. Simon sucht sein Heil im Wasser. Wie dumm von ihm! Denn schon mit meinem Startsprung habe ich ihn erreicht. Ich packe ihn an den Schultern und lasse ihn kräftig trinken, bis Frau Mallich mit schriller Stimme schreit: »Hör auf, Madeleine, hör auf!«
Sie steht vornübergebeugt am Beckenrand, ihre Augen sind aufgerissen, der Mund auch. Sie ist drauf und dran, im
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