Mehr als nur Traeume
Lobes über das gewürzte Hühnerfleisch.
Dougless saß Nicholas gegenüber und schaute ihm so gespannt beim Essen zu, daß er kaum einen Bissen zu sich nahm. Soweit sie sehen konnte, wurde sein Erinnerungsvermögen von den Speisen nicht angeregt.
Nach dem Hauptgericht trugen die Diener mit feierlichen Gesichtem auf Silbertabletts das Dessert auf - die mit Nüssen gefüllten Schokoladentörtchen. Und schon beim ersten Törtchen traten einigen der Tafelgäste Tränen der Dankbarkeit in die Augen.
Doch Dougless wartete gespannt darauf, wie Nicholas auf die Nachspeise reagieren würde. Er biß in ein Törtchen und kaute. Und dann hob er den Kopf und blickte zu Dougless hinüber, daß ihr das Herz bis zum Hals hinauf schlug. Er erinnert sich, dachte sie. Endlich zeigt das Essen die beabsichtigte Wirkung!
Und da legte Nicholas das Törtchen wieder auf seinen Teller. Und obwohl ihm offenbar nicht bewußt war, was er tat, zog er einen Ring von der linken Hand und reichte ihn ihr.
Dougless streckte eine zitternde Hand aus, um den Ring entgegenzunehmen. Es war ein Ring mit einem großen Smaragd - derselbe Ring, den er ihr schon einmal geschenkt hatte, als sie ihm im Hause von Arabellas Vater eine Picknick-Mahlzeit zubereitete. Sie konnte seinem Gesicht ansehen, wie verwundert er über seine Handlungsweise war.
»Du hast mir diesen Ring schon einmal gegeben«, sagte sie leise zu ihm. »Damals, als ich eigens für dich diese Törtchen gebacken habe, hast du mir diesen Ring verehrt.«
Doch Nicholas starrte sie nur entgeistert an. Und ehe er sie um eine Erklärung bitten konnte, wurde der Bann durch ein lautes Gelächter von Kit gebrochen.
»Ich kann dich gut verstehen«, meinte Kit lachend. »Diese Kuchen sind Gold wert.« Er zog einen einfachen Goldreif vom Finger und reichte ihn Dougless. »Nehmt das als Zeichen der Dankbarkeit von mir an.«
Lächelnd, aber zugleich enttäuscht, weil Kit seinen Bruder dabei gestört hatte, sich auf »vergangene« Ereignisse zu besinnen, nahm Dougless den Goldreif entgegen. Im Vergleich zu Nicholas’ Ring hatte Kits Geschenk einen sehr bescheidenen Wert, aber selbst wenn es umgekehrt gewesen wäre, hätte sie Nicholas’ Gabe bei weitem höher eingeschätzt. Und nachdem sie sich höflich bei Kit für die erwiesene Gnade bedankt hatte, blickte sie Nicholas wieder gespannt an, doch der hörte nun einem Gespräch zu, das in seiner Nähe geführt wurde, und der Moment, wo er angefangen hatte, sich zu erinnern, war unwiederbringlich vorbei.
»Du bist auffallend schweigsam, Bruder«, meinte Kit lächelnd zu Nicholas. »Du solltest dich lieber in geselliger Runde zerstreuen. Dougless will uns ein neues Kartenspiel beibringen, das Poker genannt wird.«
Nicholas blickte von seinem Bruder fort. Heute abend war etwas geschehen, das er nicht verstand. Er hatte in ein Gebäck gebissen, das diese Frau zubereitet hatte, und auf einmal gewußt, daß sie nicht seine Feindin war.
Er hatte ihr einen Ring geschenkt. Er hatte sich deswegen Vorwürfe gemacht und es trotzdem getan. Er meinte doch, der einzige in der Familie zu sein, der noch klar denken konnte. Er hielt diese Frau nicht wie die anderen für einen Segen, eine von Gott gesandte Person: Ihre guten Taten konnten doch nur Blendwerk sein, mit denen sie ihre bösen Absichten verschleiern wollte. Wenn das zutraf, war er der einzige im Haus, der sie durchschaut hatte.
Aber an diesem Abend, als er in dieses köstliche Backwerk biß, hatte er plötzlich Visionen von dieser Frau, wie sie mit nackten Beinen und aufgelösten Haaren auf einem Metallgestell mit zwei Rädern saß. Und wie sie nackt unter einer Wasserfontäne stand. Und wie sie einen Smaragdring an ihre Brust drückte und ihn mit liebevollen Augen ansah. Und da hatte er, ohne zu bedenken, was er tat, den Ring vom Finger gezogen und ihn ihr gegeben. Es war so, als wäre er ihr und nicht sein Eigentum.
»Nicholas?« fragte Kit. »Ist dir etwa nicht gut?«
»Doch«, erwiderte Nicholas geistesabwesend, »warum fragst du?«
»Wirst du zu unserem Vergnügen kommen?«
»Nein«, murmelte Nicholas. Er wollte sich nicht in der Nähe dieser Frau aufhalten - wollte nicht, daß sie Bilder in ihm wachrief von Vorgängen, die seines Wissens nach nie stattgefunden hatten. Wenn er sich eine Zeitlang mit ihr beschäftigte, mochte ihr Einfluß auf ihn so zunehmen, daß er am Ende auch noch ihre absurden Geschichten von der Vergangenheit und Zukunft glaubte.
»Nein, ich werde nicht daran teilnehmen«,
Weitere Kostenlose Bücher