Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Situationen peinlich zu finden, doch das machte nichts, denn mir waren sie für uns beide peinlich – ja, peinlich für uns beide nebst allen Fluggästen, der Fluggesellschaft und ihren Angestellten sowie dem gesamten Bundesstaat, über den wir gerade flogen.
Aus zweierlei Gründen fand ich mich mit derlei Aktivitäten aber ab. Erstens war mein Vater, wenn er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, meist nicht halb so närrisch, zweitens war Ziel der Flüge immer eine große Stadt wie Detroit oder St. Louis, wo wir in einem großen Hotel übernachten und Baseballspiele besuchen würden. Und dafür nahm ich vieles in Kauf – na, eigentlich alles. Mein Vater war Sportreporter für den Des Moines Register , damals eine der besten Zeitungen des Landes, und oft durfte ich ihn auf Reisen im Mittleren Westen begleiten. Manchmal fuhren wir nur mit dem Auto in kleinere Orte wie Sioux City oder Burlington, doch mindestens einmal im Sommer bestiegen wir ein silberglänzendes Flugzeug – damals eine Riesensache – und rumpelten durch die Schäfchenwolken hoch oben an einem sommerlichen Firmament zu einer richtigen Metropole, um Major-League-Baseballspielen beizuwohnen, Topereignissen in dem Sport.
Wie alles damals war Baseball Teil einer simpleren Welt und vor den Spielen durfte ich mit ihm in die Umkleidekabinen, zu den überdachten Spielerbänken und aufs Spielfeld. Stan Musial hat mir durchs Haar gewuschelt. Ich habe Willie Mays einen Ball zurückgegeben, den er nicht gefangen hatte. Ich habe Harvey Kuenn (vielleicht war es auch Billy Hoeft) mein Fernglas geliehen, damit er eine vollbusige Blondine auf den oberen Rängen ins Visier nehmen konnte. Und einmal saß ich an einem heißen Julinachmittag in den fast luftlosen Clubräumen unterhalb der Tribüne am linken Spielfeld von Wrigley Field in Chicago neben Ernie Banks, dem großartigen Shortstop der Cubs, als er kistenweise neue weiße Basebälle signierte (die übrigens den köstlichsten Duft der Erde verströmen und in deren Nähe Zeit zu verbringen sich immer lohnt). Unaufgefordert übernahm ich es, neben Ernie Banks Platz zu nehmen und ihm die Bälle zuzureichen. Was den Ablauf erheblich entschleunigte. Doch er schenkte mir jedes Mal ein kleines Lächeln und sagte Danke schön, als täte ich ihm einen Riesengefallen. Er war das netteste menschliche Wesen, das mir je begegnet ist. Es war, als wäre man mit Gott befreundet.
Ich kann mir keine erfreulichere Zeit und keinen glücklicheren Ort zum Leben vorstellen als die Vereinigten Staaten von Amerika in den 1950er Jahren. Noch nie hatte in einem Land ein solcher Wohlstand geherrscht. Als der Krieg zu Ende war, gab es in den USA Fabriken im Wert von 26 Milliarden Dollar, die vor dem Krieg noch nicht existiert hatten, 140 Milliarden Dollar in Ersparnissen und Kriegsanleihen, die nur darauf warteten, ausgegeben zu werden, keine Bombenschäden und praktisch keine Konkurrenz. Die amerikanischen Unternehmen mussten nur aufhören, Panzer und Schlachtschiffe zu bauen, und stattdessen Buicks und Frigidaires produzieren. Und Mann, oh Mann, das taten sie!
1951, als ich auf die Welt gesegelt kam, besaßen fast 90 Prozent der US-amerikanischen Familien einen Kühlschrank und fast 75 Prozent Waschmaschine, Telefon, Staubsauger und Gas- oder Elektroküchenherd – Dinge, von denen der Rest der Welt immer noch nur träumen konnte. Die US-Bürger nannten 80 Prozent der Elektrogeräte auf Erden ihr Eigen, verfügten über zwei Drittel der Produktionskapazitäten, erzeugten 40 Prozent des elektrischen Stroms, 60 Prozent des Öls und 66 Prozent des Stahls. Die fünf Prozent der Menschheit, die US-Amerikaner waren, waren reicher als die restlichen 95 Prozent zusammen.
Ich wüsste nicht, was Hülle und Fülle dieser Jahre besser illustriert als das Foto, das zwei Monate vor meiner Geburt in der Life abgedruckt war. Es zeigt die Familie Czekalinski aus Cleveland, Ohio – Steve, Stephanie und die beiden Söhne Stephen und Henry –, inmitten der zweieinhalb Tonnen Nahrung, die eine typische Arbeiterfamilie damals in einem Jahr vertilgte. Zu den Dingen, mit denen sie fotografiert wurden, gehörten 400 Pfund Mehl, 65 Pfund Backfett, 50 Pfund Butter, 31 Hähnchen, 270 Pfund Rindfleisch, fast 25 Pfund Karpfen, 130 Pfund gekochter Schinken, 35 Pfund Kaffee, 620 Pfund Kartoffeln, 663 Liter Milch, 131 Dutzend Eier, 180 Brotlaibe und 32 Liter Speiseeis, alles mit einem wöchentlichen Budget von 25 Dollar erstanden. (Mr. Czekalinski
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