Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
ein Spiel, also war das dritte entscheidend. Und die Dodgers schienen endlich ihre vorherige Form und Unbesiegbarkeit wiederzugewinnen. Beim letzten Inning führten sie komfortabel 4:1 und brauchten nur drei Outs, um zu gewinnen. Doch die Giants schlugen zurück, machten einen Punkt und stellten noch zwei Runner auf die Base, als Bobby Thomson aufs Homeplate trat (meine Leser in Schottland erfüllt es vielleicht mit Stolz, dass er in Glasgow geboren wurde). Und was Thomson in der dichter werdenden Dämmerung dieses Herbstnachmittags schaffte, wurde schon viele Male zum größten Moment in der Geschichte des Baseballs erkoren.
»Ralph Branca, dem Auswechselspieler der Dodgers, gelang gestern ein Wurf, der Geschichte machte«, schrieb einer, der dabei war. »Das heißt, Geschichte machte jemand anderer. Bobby Thomson, der ›Flying Scotsman‹, schlug Brancas zweiten Ball über die Begrenzung des linken Feldes und erzielte einen spielentscheidenden Homerun, der so folgenschwer, so spektakulär war, dass einen Augenblick verblüffte Stille herrschte. Doch als man begriff, was da für ein Wunder geschehen war, wackelten die weiten Ränge der Polo Grounds in ihren vierzig Jahre alten Grundfesten. Die Giants hatten den Siegeswimpel errungen und damit eine der unglaublichsten Aufholjagden beendet, die es je im Baseball gegeben hat.«
Verfasser dieser Sätze war mein Vater – der ganz plötzlich, vollkommen überraschend bei Thomsons größtem Moment anwesend war. Weiß der Himmel, wie er die für ihre Knauserigkeit berüchtigten Chefs des Register dazu überredet hatte, ihn die 1132 Meilen von Des Moines nach New York zu dem alles entscheidenden Spiel zu schicken – ein Akt spontaner Spendabilität, so gar nicht in Einklang mit der sparsamen Spesenpolitik, die sie jahrzehntelang betrieben hatten –, oder wie es ihm gelungen war, so spät noch die Akkreditierung und einen Platz auf der Pressetribüne zu ergattern.
Aber er musste einfach dabei sein. Es war vom Schicksal bestimmt. Und wenn ich auch nicht behaupte, dass Bobby Thomson den Homerun erzielt hat, weil mein Vater da war, oder dass er ihn nicht erzielt hätte, wenn mein Vater nicht da gewesen wäre, so muss man eines einfach festhalten: Mein Vater war da, und Bobby Thomson war da, und der Homerun wurde erzielt, und alles fügte sich damals auf das Trefflichste.
Mein Vater blieb für die World Series da, in denen die Yankees die Giants in sechs Spielen relativ mühelos schlugen – wahrscheinlich konnte die Welt in einem Herbst nur ein gewisses Maß an Aufregung verkraften –, und kehrte dann zu seinem normalerweise ruhigen Leben in Des Moines zurück. Nur einen Monat später, an einem kalten, verschneiten Tag Anfang Dezember ging seine Frau ins Mercy Hospital und brachte ohne viel Aufhebens einen kleinen Jungen zur Welt, ihr drittes Kind, den zweiten Sohn, den ersten Superhelden. Sie nannten ihn William, nach seinem Vater, und riefen ihn Billy, bis er alt genug war, es sich zu verbitten.
Außer dem großartigsten Homerun in der Geschichte des Baseballs und der Geburt des Thunderbolt Kid ereignete sich im Jahre 1951 nichts Weltbewegendes in den Vereinigten Staaten. Harry Truman war Präsident, sollte aber bald Dwight D. Eisenhower Platz machen. Der Krieg in Korea war voll im Gange und lief nicht gut. Julius und Ethel Rosenberg waren unrühmlicherweise gerade wegen Spionage für die Sowjetunion verurteilt worden, saßen aber noch zwei Jahre im Gefängnis, bevor sie auf den elektrischen Stuhl kamen. In Topeka, Kansas, strengte Oliver Brown einen Prozess gegen die städtische Schulbehörde an, weil die von seiner Tochter verlangte, 21 Straßen weit zu einer Schule nur für Schwarze zu fahren, obwohl die nächste, nur für Weiße, lediglich sieben Straßen weiter lag. Der Fall, als »Brown gegen die Schulbehörde« unsterblich geworden, sollte einer der folgenreichsten in der modernen US-amerikanischen Geschichte, aber außerhalb Juristenkreisen erst drei Jahre später bekannt werden, als er vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wurde.
1951 besaßen die Vereinigten Staaten von Amerika eine Einwohnerzahl von 150 Millionen, ein wenig mehr als halb so viel wie heute und nur etwa ein Viertel der Autos. Männer trugen fast überall, wo sie hingingen, Hüte und Schlipse. Frauen bereiteten jede Mahlzeit mehr oder weniger selbst zu. Die Milch kam in Flaschen. Der Briefträger zu Fuß. Die gesamten Staatsausgaben beliefen sich auf 50 Milliarden Dollar pro Jahr, heute
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