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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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arbeitete im Versand einer Fabrik von Du Pont und verdiente 1,96 Dollar die Stunde.) 1951 aß der durchschnittliche US-Bürger 50 Prozent mehr als der Europäer.
    Kein Wunder, dass die Leute zufrieden waren. Plötzlich bekamen sie Dinge, von denen sie nicht einmal geträumt hatten, und konnten ihr Glück kaum fassen. Wunderbar auch, wie bescheiden die Wünsche waren. Zum letzten Mal sollten Menschen schier aus dem Häuschen geraten, wenn sie in den Besitz eines Toasters oder Waffeleisens kamen. Schafften sie ein größeres Gerät an, luden sie die Nachbarn zum Anschauen ein. Als ich ungefähr vier war, kauften meine Eltern einen Amana-Stor-Mor-Kühlschrank und mindestens sechs Monate lang war der wie ein Ehrengast in unserer Küche. Wenn er nicht so schwer gewesen wäre, hätten sie ihn beim Essen bestimmt an den Tisch gezogen. Kam unerwartet Besuch, sagte mein Vater zu meiner Mutter: »Ach, Mary, haben wir wohl Eistee im Amana?« und bedeutungsvoll zu den Gästen: »Haben wir eigentlich jetzt immer. Es ist ein Stor-Mor.« »Ah, ein Stor-Mor«, sagte dann der männliche Gast und hob die Brauen wie jemand, der was von Qualitätskühlung versteht. »Wir haben auch überlegt, ob wir uns einen Stor-Mor anschaffen, uns am Ende aber für einen Philco Shur-Kool entschieden. Alice fand, dass das Easy-Glide-Gemüsefach wirklich leicht herauszuziehen ist, und man kriegt eine Familienpackung Eiskrem ins Gefrierfach. Und wie Sie sich sicher vorstellen können, war das für Wendell Junior das Verkaufsargument!«
    Worauf alle herzlich lachten, sich hinsetzten, Eistee tranken und eine Stunde oder so über Haushaltsgeräte parlierten. Nie waren Menschen glücklicher gewesen.
    Auch auf die Zukunft freuten sich die Leute in einer Weise, wie es nie wieder der Fall sein sollte. Bald, so stand es ja in jeder Illustrierten, würden wir Unterwasserstädte vor allen Küsten haben, Weltraumkolonien in riesigen Glasballons, atomgetriebene Züge und Verkehrsflugzeuge, jeder seinen eigenen Raketenrucksack, Gyrokopter in allen Hauseinfahrten, Autos, die sich in Boote oder sogar U-Boote verwandelten, bewegliche Bürgersteige, die uns – witsch! – in Schulen und Büros beförderten, Automobile mit Kuppeldächern, die sich selbst über glatte Superautobahnen fuhren, so dass Mom, Dad und die beiden Jungs (Chip und Bud oder Skip und Scooter) sich Brettspielen widmen, einem Nachbarn in einem vorbeifliegenden Gyrokopter zuwinken oder sich einfach zurücklehnen und darin schwelgen konnten, einige der wunderhübschen Worte aus den Fünfzigern zu sagen, die man jetzt nicht mehr hört: Vervielfältigungsapparat, Grillrestaurant, Stenograf, Eisschrank, Rübstielchen, Strumpfbandgürtel, Nylonstrümpfe, Sputnik, Beatnik, Cinerama, Moose Lodge, Pinökel, Daddy-o.
    Wer nicht auf die Unterwasserstädte und die selbsttätig fahrenden Autos warten wollte, konnte sich schon jetzt Tausende kleiner Dinge besorgen, die das Leben bereicherten. Wenn man zum Beispiel von all dem Gebrauch gemacht hätte, was in den Annoncen einer einzigen Ausgabe der Illustrierten Popular Science vom Dezember 1956 feilgeboten wurde, hätte man unter anderem Folgendes tun können: sich Bauchreden oder Tranchieren beibringen (Letzteres mittels eines Fernstudiums an der National School of Meat Cutting in Toledo, Ohio), eine lukrative Karriere einschlagen (indem man von Tür zu Tür ging und anbot, Schlittschuhe zu schleifen), von zu Hause aus Feuerlöscher verkaufen, ein für alle Mal Leistenbrüchen vorbeugen, Radios bauen, Radios reparieren, im Radio auftreten, im Radio zu Menschen in verschiedenen Ländern und möglicherweise sogar auf verschiedenen Planeten sprechen, seine Persönlichkeit vervollkommnen, eine Persönlichkeit erlangen, eine männliche Figur erwerben, tanzen lernen, individuelles Geschäftspapier entwerfen oder in seiner Freizeit »Hunderte von Dollars verdienen« (indem man zu Hause Gartenfiguren oder andere hochmoderne Nippesfiguren bastelte).
    Mein Bruder, normalerweise ein recht intelligenter Mensch, investierte einmal in eine Broschüre, die ihm bauchrednerische Künste beizubringen versprach. Er presste die Lippen zusammen und äußerte etwas Unverständliches, trat dann schnell zur Seite und sagte: »Das klang, als käme es von dort drüben, stimmt’s?« Auf eine Anzeige in der Mechanics Illustrated hin, die ihm für 65 Cent plus Porto Farbfernsehen zu Hause verhieß, bestellte und bekam er binnen vier Wochen per Post ein buntes, durchsichtiges Blatt aus

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