Mein Mann der Moerder
den sozialpsychiatrischen Dienst alarmiert. Eine Frau von Samtleben hatte Xenia Rabe angerufen, um mit ihr zu reden. Xenia Rabe hatte wortlos den Hörer wieder aufgelegt. Die Sozialpädagogin war deshalb zu ihr nach Hause gefahren. Aber als Xenia Rabe die Tür nicht geöffnet hatte, war ihr Engagement erlahmt. »Wir können niemanden zwingen, sich helfen zu lassen« , hatte sie sich verteidigt.
Die Vernehmung von Timo Nehring musste mehrfach unterbrochen werden, weil der Kollege von Tobias Rabe zwischendurch immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt wurde, was die Beamten penibel in der Akte vermerkt hatten.
Tobias war weiß Gott kein Engel, hat Xenia auf jeder Dienstreise betrogen, konnte sehr unangenehm werden, wenn die Frauen ihn abblitzen ließen. Im Suff hat er mir mal erzählt, dass er unbedingt mit Xenia in den Swingerklub gehen wolle. Trotzdem, und das mag merkwürdig klingen, glaube ich, dass er Xenia irgendwie geliebt hat, auf seine Weise. Liebe und Sex waren für ihn halt zweierlei. Die erste Zeit nach ihrer Hochzeit war er mit Xenia wohl auch sehr glücklich. Aber kurz nachdem sie im Radio gehört hatte, dass ein junges Mädchen entführt worden war, drehte sie richtig ab. Machte Tobias Vorhaltungen, dass er diese Antonia, oder wie sie hieß, entführt, vergewaltigt und ermordet habe. Dabei wusste man ja gar nicht, was überhaupt mit Antonia passiert ist – und sie ist doch noch immer verschwunden.
Wir waren jedenfalls zur fraglichen Zeit in München auf Dienstreise. Aber Xenia war nicht davon abzubringen, dass Tobias das Mädchen entführt und ermordet hätte. Verwüstete die Wohnung, riss alle Kleider aus Schubladen und Schränken, warf mit Büchern, anderen Gegenständen, ja sogar mit Lebensmitteln nach Tobias. Mit Zucker, Mehl, Kaffee – furchtbar sah die Wohnung aus. Sie beschimpfte ihren Mann als Mörder und Kinderficker.
Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, packte seine Koffer. Aber Xenia verstieg sich nun in die Idee, Tobias sei geflohen, und setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Sie ging zur Polizei, schaltete die Presse ein. Natürlich verlief das alles im Sande. Trotzdem wollte Tobias nichts davon hören, Xenia in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Er redete sich ein, dass sie sich schon wieder fangen würde. Eines Tages bekam Tobias Post von Xenias Anwalt. Sie wollte sich wohl scheiden lassen.
Stimmt, erinnerte sich Zimmer. Er hatte Dr. Rabe ins Büro geschrieben, ihm allerdings nur mitgeteilt, dass seine Frau bei ihm gewesen sei, und um Rückruf gebeten. Auch er hätte ihm geraten, Xenia Rabe in die Psychiatrie zu bringen.
Jedenfalls war Tobias völlig niedergeschlagen. Er wollte noch einmal mit Xenia reden. Also fuhr er an jenem Abend zu ihr. Als er am Morgen noch nicht wieder zurück war, dachte ich erst, die beiden hätten sich vertragen, und habe mich gefreut. Doch dann erschien mein Kollege nicht zur Arbeit und tauchte auch am nächsten Tag nicht wieder auf. Ich bin zu Xenia gefahren. Sie öffnete nicht mal die Tür. Ich habe noch drei Tage gewartet, bevor ich zur Polizei gegangen bin. Aber ihre Kollegen haben mich abgewimmelt, sagten, Tobias Rabe sei erwachsen, könne machen, was er wolle. Und ich sei ja noch nicht mal ein Angehöriger. Eine Vermisstenanzeige könne, wenn überhaupt, nur seine Frau aufgeben.
Zimmer schlug das psychiatrische Gutachten auf.
Paranoide Schizophrenie, las er die Diagnose des Gerichtspsychiaters. Xenia Rabe war verrückt. Sie hörte Stimmen, fühlte sich verfolgt, litt unter Halluzinationen. In ihrem Kopf spielte sich ein Theaterstück ab, das mit der Realität nichts zu tun hatte. Sie hörte ihr Gegenüber reden, verstand aber etwas völlig anderes. Oder sie verstand Bruchstücke des Gesprächs, setzte sie in ihrem Kopf völlig neu und sinnentstellt zusammen. Das Gefühl hatte auch Zimmer gehabt. Sie hatte vor ihm gesessen und war doch ganz weit weg gewesen. Hatte seine Worte gehört, aber nicht verstanden. Schizophrene lebten in ihrer eigenen Wirklichkeit, sahen im wahrsten Sinne des Wortes Gespenster. Im Internet hatte Zimmer gelesen, dass chemische Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, diesen Spuk im Hirn auslösten.
Er musste an den Film A beautiful Mind über das Leben des Mathematikers und Nobelpreisträgers John Nash denken. Jahrelang hatte der Wissenschaftler in dem Wahn gelebt, er müsse für die amerikanische Regierung im geheimen Auftrag Codes sowjetischer Agenten entschlüsseln. Nash hatte, wie er später berichtete,
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