Mein Weg zum Herzkind
bohrenden Fragen in mein Innerstes wühlten. Ich fühlte mich wie auf dem heißen Stuhl. In ihren Gesichtern versuchte ich zu lesen, wie meine Wirkung auf sie war. Ich beschloss, stolz zu bleiben und mich nicht klein zu machen. Kommunikativ und höflich beantwortete ich Fragen über Fragen. Ihre wandernden Blicke durch mein Wohnzimmer nahm ich aus dem Augenwinkel
wahr, während ich neuen Kaffee reichte oder noch ein Stück Kuchen anbot. Ich wollte perfekt sein. Aber wer ist schon perfekt? Nachdem die beiden Damen des Jugendamtes gegangen waren, kam ein beklemmendes Gefühl auf. Ich zweifelte plötzlich an mir als Mutter und fragte mich, was ich hier überhaupt tat. War ich überhaupt gut genug? War es nicht ein Zeichen, keine leiblichen Kinder zu bekommen? Sollte ich besser kinderlos bleiben? Es war nichts vorgefallen in diesem Gespräch mit den Sozialarbeiterinnen, aber die bloße Erkenntnis meiner Hilflosigkeit und Abhängigkeit von diesen Leuten verursachte ein Gefühlschaos. Die nächsten Tage und Wochen war ich ein einziger Trauerkloß. Mein Selbstbewusstsein war verloren gegangen. Mich ärgerten diese verdammten Bestimmungen und Prüfungen des Amtes. Warum konnten andere Frauen ein Kind nach dem nächsten bekommen, im schlimmsten Fall mit ihnen halb verwahrlost in einer Einzimmerwohnung hausen und ihnen kaum eine vernünftige Zukunft bieten, ohne dass sich jemand darum kümmerte? Und ich wurde durchleuchtet wie eine Schwerverbrecherin. Ich war wütend. Zum Glück gab es die Abende im Vorbereitungskurs. Gesine Schanz, unsere Leiterin, war immer einfühlsam und hatte das Talent, jeden aus der Gruppe individuell aufzufangen. Sie rückte auch mich wieder zurecht. Durch die interessanten Neuigkeiten im Kurs waren mein Wissensdrang und die Lust weiterzumachen wieder geweckt. Sie riet mir, aktiv zu sein, mich umzuschauen, welche Form der Adoption in Frage kommen würde, zu überlegen, was ich von einer Auslandsadoption halten würde, und mich weiter meinem Vorankommen zu widmen, statt zu resignieren. Die Chancen ihrer Schüler, Eltern zu werden, seien von Jahr zu Jahr gestiegen. Sie machte nicht nur mir damit Hoffnung.
An einem dieser Gruppenabende passierte etwas Seltsames. Plötzlich hatte ich das Gefühl: »Jetzt bin ich schwanger!« Ich glaubte wieder an mich als Mutter, und ich startete meine ganz persönliche »Erfolgskampagne«. Ich schrieb Bewerbungen für andere Jugendämter, arbeitete mit Bedacht an meinem Fragebogen und freute mich auf mein Kind. Mit Aktivität versuchte ich mich von den lästigen Gedanken abzubringen, was wohl wäre, wenn es nicht klappen würde. Ich konnte nicht nur dasitzen und warten. Ich wollte nicht versauern und dachte mir, sei Unternehmer – unternimm etwas! Doch manchmal brachten mich auch schon kleine Informationen aus dem Gleichgewicht. Die Wartezeit hielt wirklich ihre Tücken bereit.
Eines Tages stand da in der Zeitung etwas von einer Adoption des Bundeskanzlers und seiner vierten Frau. Ein dreijähriges russisches Mädchen durfte beim Ehepaar Schröder einziehen. Mir kochte das Blut in den Adern. Warum bekamen dieser alte Mann und seine Frau ein Kleinkind, obwohl sie nach den üblichen Regelungen eigentlich viel zu alt dafür waren? Ich wusste genau, dass diese Ämter immer über die Altersgrenze referierten und »No-Name-Paare« aufgrund der »Zahlen« nicht ins Prüfungsverfahren nahmen.
Warum ist Adoptieren oft eine Frage der Person? Warum wird mit zweierlei Maß gemessen? Wieder war ich wütend und aufgewühlt. Ich befand mich in einem Verfahren, in dem ich nicht absehen konnte, ob meine Nase den Sozialarbeitern wirklich passte.
Ich konnte noch so viel mitbringen und richtig machen, am Ende war es keine objektive Tatsachenentscheidung, sondern eine subjektive Genehmigung – oder Ablehnung. Aus heutiger Sicht glaube ich, dass damals der Samen gesät wurde für meinen
Einsatz für »normale« Familien aber auch Randgruppen bei der Adoption. Ich wollte, dass alle gleich behandelt werden und sie eine Chance bekommen, gute Eltern zu werden. Sie sollten nicht wegen ihres Alters, Familienstandes, oder was auch immer den Sozialarbeitern aus persönlichen Gründen nicht gefiel, als Adoptiveltern abgelehnt werden. Mein Kampfgeist war geweckt – eine neue Facette, die ich an mir entdeckte. Ich war wieder stark. Zu stark vielleicht. Jetzt hatte ich den Kopf gehoben und sprach mit vielen Leuten offen und ehrlich über mein Vorhaben, meine Ideen und meine Wut. Die Angst,
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