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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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    «Das nenne ich beten, Rabbi!», sagte Harvey Andelman. «Wir sind fünf …» Ein Blick auf die Armbanduhr: «… nein – sieben Minuten vor der Zeit fertig geworden.»
    Rabbi David Small lächelte und fuhr fort, die Gebetsriemen aufzurollen. Er war jung, Mitte dreißig, und obwohl er bei guter Gesundheit war, wirkte er blass und mager und hielt den Kopf leicht vorgeneigt wie ein Kurzsichtiger beim Lesen. Tatsächlich hatte er den Gottesdienst im Eiltempo hinter sich gebracht und war deswegen etwas verlegen. «Wissen Sie, ich muss nämlich verreisen …»
    «Klar, und da wollen Sie möglichst bald losfahren.» Andelman, der in Salem ein Geschäft hatte und selbst immer darauf bedacht war, das Morgengebet rasch zu erledigen, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, hatte dafür volles Verständnis. Er ärgerte sich immer, wenn er herumstehen und warten musste, bis die zehn Männer für das Minjan beisammen waren. Sobald er den zehnten erblickte, pflegte er ihn zur Eile anzutreiben wie einen Läufer kurz vor dem Ziel: «Schnell, schnell, nu mach schon, los!» Heute aber genoss er die gewonnenen Minuten und wartete, bis der Rabbi Gebetsriemen und Gebetsmantel versorgt hatte. «Wenn Wasserman oder der Kantor vorbeten, könnte man meinen, es ist Jom Kippur , und sie haben den ganzen Tag vor sich … Na ja, die haben ja auch nichts anderes zu tun. Aber wer ins Geschäft muss … Also, Wiedersehn, Rabbi!» Er eilte zu seinem Wagen.
    Weil er wegen des schnellen Betens ein schlechtes Gewissen hatte, schlenderte Rabbi Small besonders langsam den Korridor entlang zu seinem Arbeitszimmer. Zum ersten Mal seit langem fielen ihm die kahlen weißen Mauern wieder auf, die ohne ersichtlichen Grund in der Mitte durch einen schwarzen Plastikstreifen quer geteilt wurden; die ebenso unterteilte leuchtend gelbe Ziegelwand, der Boden mit den Kunststoffplatten, der noch vom Bohnern glänzte und auf dem die Spuren der Bohnermaschine ein kreisförmiges Muster hinterlassen hatten. Das Ganze roch steril wie ein Krankenhauskorridor.
    Als er vor sechs Jahren nach Barnard’s Crossing gekommen war, hatte der funkelnagelneue, moderne Synagogenbau freundlich gewirkt. Jetzt wies er bereits Spuren der Abnutzung auf. An den Wänden bröckelte der Verputz ab, und an der Decke war ein gelber Fleck, wo einmal ein Rohr undicht geworden war … Die Synagogen von Anno dazumal mit dem geschnitzten Mahagoni- oder Nussbaumgetäfel altern eleganter, dachte der Rabbi.
    Als er sich dem Arbeitszimmer näherte, hörte er das Telefon klingeln und begann zu laufen. Wahrscheinlich Miriam, die ihm noch in letzter Minute etwas auftragen wollte … Aber dann meldete sich eine Männerstimme. Sie klang vorwurfsvoll.
    «Rabbi? Hier Ben Gorfinkle. Ich hab bei Ihnen zu Hause angerufen, aber Ihre Frau sagte, Sie seien in der Synagoge.»
    «Der Morgengottesdienst …»
    «Ach so», sagte der Gemeindevorsteher, als akzeptiere er eine Entschuldigung. «Hören Sie, Rabbi, vorhin beim Frühstück erwähnte Sarah, dass Sie nach Binkerton wollen …»
    «Das habe ich Ihnen doch schon vor ein paar Wochen mitgeteilt», bemerkte der Rabbi.
    «Ja, schon. Das heißt, ich wusste, dass Sie bei irgendeiner Studentengruppe einen Sabbatgottesdienst abhalten wollen. Aber dass es ausgerechnet in Binkerton ist, das hab ich damals wohl nicht mitgekriegt … Die Welt ist klein. Mein Stuart studiert nämlich dort.»
    «Ach ja? Das wusste ich nicht.»
    «Ja. Und … Rabbi, ich hab gedacht, ob Sie vielleicht mal bei ihm vorbeischauen könnten …»
    «Aber selbstverständlich, Mr. Gorfinkle.»
    «Er wird sicher zu Ihrem Gottesdienst kommen, aber für alle Fälle geb ich Ihnen doch noch seine Telefonnummer.»
    Der Rabbi notierte sie.
    «Es ist ein Studentenwohnheim. Wenn er nicht dort ist, können Sie ja eine Nachricht hinterlassen.»
    «Wird gemacht.»
    «Wenn Sie ihn gleich nach Ihrer Ankunft anrufen, wird er Ihnen sicher das Universitätsgelände zeigen.»
    «Gute Idee.»
    Im Hintergrund hörte man eine Stimme. «Moment mal, Rabbi», sagte Gorfinkle. Gedämpftes Tuscheln hinter dem abgedeckten Hörer. «Es kann natürlich sein, dass er am Nachmittag noch Vorlesung hat oder so …»
    «Schon gut.» Der Rabbi musste lächeln. Vermutlich hatte Mrs. Gorfinkle ihrem Mann zugeflüstert, dass ihr Sohn wohl kaum große Lust haben werde, den Rabbi plus Familie einen ganzen Nachmittag lang am Hals zu haben. «Wir werden sicher erledigt sein nach der Reise und uns ein bisschen ausruhen wollen.»
    «War ja

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