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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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angespannten Sinne starrten nur hin zu dem russischen General, der, vollkommen gleichgültig, wieder zwei Goldstücke in der Hand wog, unschlüssig, auf welche Zahl er sie placieren sollte.
    Ich kann Ihnen meine Erbitterung, meine Verzweiflung nicht schildern. Aber denken Sie sich mein Gefühl: für einen Menschen, dem man sein ganzes Leben hingeworfen hat, nicht mehr als eine Fliege zu sein, die man lässig mit der lockeren Hand wegscheucht. Wieder kam diese Welle von Wut über mich. Mit vollem Griff packte ich seinen Arm, daß er auffuhr.
    ›Sie werden sofort aufstehen!‹ flüsterte ich ihm leise, aber befehlend zu. ›Erinnern Sie sich, was Sie heute in der Kirche geschworen, Sie eidbrüchiger, erbärmlicher Mensch.‹
    Er starrte mich an, betroffen und ganz blaß. Seine Augen bekamen plötzlich den Ausdruck eines geschlagenen Hundes, seine Lippen zitterten. Er schien sich mit einem Mal alles Vergangenen zu erinnern, und ein Grauen vor sich selbst ihn zu überkommen.
    ›Ja … ja …‹, stammelte er. ›O mein Gott, mein Gott … Ja … ich komme schon, verzeihen Sie …‹
    Und schon raffte seine Hand das ganze Geld zusammen, schnell zuerst, mit einem zusammenreißenden, vehementen Ruck, aber dann allmählich träger werdend und wie von einer Gegenkraft zurückgeströmt. Sein Blick war neuerdings auf den russischen General gefallen, der eben pointierte.
    ›Einen Augenblick noch …‹, er warf rasch fünf Goldstücke auf das gleiche Feld … ›Nur noch dieses eine Spiel … Ich schwöre Ihnen, ich komme sofort … nur noch dieses eine Spiel … nur noch …‹
    Und wieder verlosch seine Stimme. Die Kugel hatte zu rollen begonnen und riß ihn mit sich. Wieder war der Besessene mir, war er sich selber entglitten, hinabgeschleudert mit dem Kreisel in die glatte Mulde, innerhalb derer die winzige Kugel kollerte und sprang. Wieder rief der Croupier, wieder scharrte der Rechen die fünf Goldstücke von ihm weg; er hatte verloren. Aber er wandte sich nicht um. Er hatte mich vergessen, wie den Eid, wie das Wort, das er mir vor einer Minute gegeben. Schon wieder zuckte seine gierige Hand nach dem eingeschmolzenen Gelde, und nur zu dem Magnet seines Willens, zu dem glückbringenden Gegenüber hin, flackerte sein betrunkener Blick.
    Meine Geduld war zu Ende. Ich rüttelte ihn nochmals, aber jetzt gewaltsam. ›Auf der Stelle stehen Sie jetzt auf! Sofort! … Sie haben gesagt, dieses Spiel noch …‹
    Aber da geschah etwas Unerwartetes. Er riß sich plötzlich herum, doch das Gesicht, das mich ansah, war nicht mehr das eines Demütigen und Verwirrten, sondern eines Rasenden, eines Bündels Zorn mit brennenden Augen und vor Wut zitternden Lippen. ›Lassen Sie mich in Ruhe!‹ fauchte er mich an. ›Gehen Sie weg! Sie bringen mir Unglück. Immer, wenn Sie da sind, verliere ich. So haben Sie es gestern gemacht und heute wieder. Gehen Sie fort!‹
    Ich war einen Augenblick starr. Aber an seiner Tollheit wurde nun auch mein Zorn zügellos.
    ›Ich bringe Ihnen Unglück?‹ fuhr ich ihn an. ›Sie Lügner, Sie Dieb, der Sie mir geschworen haben …‹ Doch ich kam nicht weiter, denn der Besessene sprang von seinem Platze auf, stieß mich, gleichgültig um den sich regenden Tumult, zurück. ›Lassen Sie mich in Frieden‹, schrie er hemmungslos laut. ›Ich stehe nicht unter Ihrer Kuratel … da … da … da haben Sie Ihr Geld‹, und er warf mir ein paar Hundertfrankenscheine hin … ›Jetzt aber lassen Sie mich in Ruhe!‹
    Ganz laut, wie ein Besessener hatte er das gerufen, gleichgültig gegen die hundert Menschen ringsum. Alles starrte, zischelte, deutete, lachte, ja vom Nachbarsaal selbst drängten neugierige Leute herein. Mir war, als würden mir die Kleider vom Leibe gerissen und ich stünde nackt vor allen diesen Neugierigen … ›Silence, Madame, s'il vous plaît!‹ sagte laut und herrisch der Croupier und klopfte mit dem Rechen auf den Tisch. Mir galt das, mir, das Wort dieses erbärmlichen Gesellen. Erniedrigt, von Scham übergossen, stand ich vor der zischelnd aufflüsternden Neugier wie eine Dirne, der man Geld hingeschmissen hat. Zweihundert, dreihundert unverschämte Augen griffen mir ins Gesicht, und da … wie ich ausweichend, ganz geduckt von dieser Jauche von Erniedrigung und Scham mit dem Blick zur Seite bog, da stieß er gradwegs in zwei Augen, gleichsam schneidend vor Überraschung – es war meine Cousine, die mich entgeistert anblickte, aufgegangenen Mundes und mit einer wie im Schreck erhobenen

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