Melina und das Geheimnis aus Stein
Servietten.
Paps bewundert sie, als wir zusammen am Tisch sitzen. Wir ribbeln Parmesan über die heißen Nudeln. Die Käsewürmchen krümmen sich und schmelzen und dann sind sie unsichtbar, nur der Geschmack bleibt. Wir sagen alle, wie gut es schmeckt.
Ich kann unser Spiegelbild in der dunklen Fensterscheibe sehen. Wir sehen aus wie eine ganz normale Familie.
Eins, zwei, drei, vier, Eckstein
Es ist schön, ein Geheimnis zu haben. Es macht dir nichts aus, wenn du die Hofpausen alleine verbringst. Es macht dir nichts aus, wenn du dir die Handflächen aufschürfst, weil Maik dich im Gang geschubst hat. Es macht dir nichts aus, wenn du jeden Tag selbst geschmierte Nutella-Brote isst, bis du glaubst, daran zu ersticken.
Du hast dein Geheimnis, das dich umhüllt wie ein daunenweicher Zaubermantel. Dein Geheimnis, das in dir glüht wie ein Karfunkelstein. Es beschützt dich und gibt dir Kraft, und du weißt, dass du am Nachmittag dorthin zurückkehren wirst, wo es wohnt, in einem Park, der nicht länger den Toten gehört, sondern euch.
„Bald, schon bald, bald, schon bald sehe ich Will“, singt es in meinem Kopf. Mein Turnbeutel schlenkert im Takt dazu, als ich gemeinsam mit Jessie zur Schule laufe. Ich merke, wie sie mich von der Seite anguckt, die Augen zu prüfenden Schlitzen zusammengezogen. „Irgendwas ist anders an dir“, stellt sie fest. Das ist das erste Mal, dass sie mir mehr Beachtung schenkt als ihrem Fußball. „Du grinst wie so ein bescheuertes Honigkuchenpferd. Was ist los?“
„Nichts“, antworte ich und umklammere die Schnur meines Turnbeutels, um seine gute Laune in Zaum zu halten. „Schönes Wetter heute.“
Jessie guckt zum bewölkten Himmel hinauf und schnaubt.
Der Schultag schleicht voran. In Biologie fragt mich der Lehrer was. Ich verstehe die Frage nicht, nur dass es irgendwie um Bäume geht. Alle lachen, am lautesten lacht Maik. Es macht mir nichts aus. Ich warte nur darauf, dass die Zeiger der Uhr endlich die Zwölf erreichen.
Als es klingelt, schnappe ich mir meinen Rucksack und meinen Turnbeutel und bin eine der Ersten, die aus dem Klassenraum rennen. Als ich über den Schulhof flitze, falle ich fast hin, weil mir ein Fußball zwischen die Beine gerät.
„Wohin willst du denn so schnell?“, ruft Jessie, der der Fußball gehört.
„Ach …“ Zum Glück flüstert mir Pippa was ins Ohr, sonst wüsste ich gar nicht, was ich antworten soll. „Der Maik hat immer so Mundgeruch, da brauchte ich frische Luft.“
„Was ist mit mir?“, ruft Maik, der zwar seinen Namen verstanden hat, aber zum Glück nicht, worum es geht.
„Nix“, antwortet Jessie. „Mädchensache.“ Ich nicke heftig.
Maik geht weiter, aber ich sehe, dass sein Gesicht ein bisschen rot angelaufen ist. Viele Jungs finden Jessie toll, trotz der zerschrammten Knie unter ihrem Rock. Vielleicht auch gerade deswegen. Oder wegen der Art, wie sie jetzt grinst.
„Komm, wir laufen zusammen heim“, schlägt sie vor. „Dann kannst du mir alles über Maiks Mundgeruch erzählen.“
„Äh, ich muss noch für meine Mutter einkaufen“, stottere ich. Jessie macht ein erstauntes Gesicht, dass ich ihre Einladung ablehne. Ich wette, eine Menge Jungs würden ihr sogar den Rucksack tragen, nur um sie nach Hause begleiten zu dürfen.
Ich will mich schnell davonmachen, da zischt Pippa: „Langsam! Denk an deine Tarnung! Du musst für deine Mutter einkaufen, wie findest du das?“
„Ätzend“, stöhne ich und schleife meinen Turnbeutel hinter mir her zum Schultor. Im Nacken spüre ich Jessies Blick. Erst zwei Straßen weiter traue ich mich zu rennen.
Als ich am Supermarkt vorbeilaufe, spüre ich das schlechte Gewissen in meiner Brust pochen. Aber für jemanden, der eh nicht kocht, braucht man auch nicht einkaufen. Meinetwegen kann Mama auf dem Sofa rumliegen, bis sie schwarz wird.
Am Friedhofstor angekommen, bin ich ganz außer Atem. Eine alte Dame, die gerade am Brunnen ihre Gießkanne auffüllt, sagt kopfschüttelnd zu ihrer Freundin: „Wir haben’s nicht so eilig, herzukommen, was, Elfriede?“
Ich höre das Gelächter der beiden hinter mir leiser werden. Schließlich erreichen Pippa und ich Reihe 22 mit Grab 273. Wills Grabmal.
„Er ist noch da“, flüstere ich Pippa zu.
„Natürlich ist er noch da. Er ist eine Statue! Wo soll er ohne dich schon hingelaufen sein?“
„Ich dachte, ich hätte ihn vielleicht nur geträumt.“
„Das wäre auch besser gewesen“, murmelt Pippa. Aber da habe ich meine Hand schon
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