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Rosa

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Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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1
    Abraham Kars fluchte innerlich auf die kleingeistigen Verleger und Cheflektoren, die Karriere machten und dabei sein Leben ruinierten. Wenn der letzte in ihrer Reihe seinen Verstand benutzt hätte, anstatt über Flugtickets und Hotelrechnungen zu meckern und talentlose Arschkriecher zu begünstigen, säße er jetzt in Genf oder beim Sicherheitsrat in New York, er würde George W. Bush an Bord der Air Force One oder Angelina Jolie auf ihrem Diwan in Hollywood interviewen. Stattdessen hatten es diese fantasielosen Versager erreicht, dass er in diesem Moment in einem mit Schweinsköpfen und antiken Eggen ausstaffierten Dorfsaal pubertären Unsinn über Europa verzapfen musste, nur um sich ein paar Hundert Euro zu verdienen, und dass er von Angelina Jolie nichts als den abgenutzten Videofilm hatte, in dem sie sich alle fünf Minuten für Sexfotos ausziehen musste und am Ende als Crackabhängige zusammengeschlagen wurde.
    »Für die junge Generation haben unsere Eltern die liberale Gesellschaft nach der Revolution in den Sechziger- und Siebzigerjahren zu sehr ausufern lassen, was zu weit geführt und ansehnlichen Schaden angerichtet hat«, sagte Kars. »Wir jungen Europäer wissen nicht einmal, ob diese Gesellschaft noch die unsrige ist, und verlangen mehr und Besseres als das ewige Dulden, die viel zu milden Strafen für Kriminelle, die uneingeschränkten Zugeständnisse sowie die kritiklose Subventionierung von Einrichtungen, die unsere Kultur, weiß Gott, größtenteils nur untergraben.«
    Wir jungen Europäer? Er war, verflucht nochmal, achtundvierzig!
    Kars ließ den Blick über die Sonntagsanzüge und -kleider des hiesigen Kulturvereins schweifen, die rechtschaffenen Bürger, die als gute Tat oder aus schlechtem Gewissen sogar den alten Dorfdeppen in den abgelegten Dreiteiler eines verstorbenen Notars gesteckt und im hinteren Teil des Saals geparkt hatten. Wahrscheinlich hörten sie es nicht gern, dass der Name des Herrn missbraucht wurde, aber die meisten waren glücklicherweise inzwischen längst eingenickt oder unterhielten sich flüsternd über den Anbau von eigenem Pfeifentabak oder den Niedergang der Veluwe als Folge der Zugereisten und des wilden Zeltens. Die wohlbeleibte, immer verkniffener dreinschauende Vorsitzende in der ersten Reihe war die Einzige, die zuhörte, und natürlich der Notarsanzug, der an seinen Lippen hing, als sei er Jesus Christus mit dem revolutionären Plan, den Planeten in ein Paradies für die geistig Armen zu verzaubern.
    »Das Europa unserer Eltern …« Kars warf einen Blick auf sein Konzept. »Unsere Kinder fordern ein modernes, westliches Imperium mit einer klaren Außenpolitik, das seinen wichtigsten Bündnispartner nicht im Regen stehen lässt, wenn die Kastanien aus dem Feuer geholt werden müssen, und das in der Lage ist und über die nötigen Mittel verfügt, sein kulturelles Erbe zu schützen, anstatt in einem fernen Brüssel einen unverständlichen Dschungel von Regeln und bürokratischen Vorschriften auszubrüten, über die Spanier in Madrid, die Ungarn in Bukarest und die …«
    »In Budapest«, sagte die Vorsitzende.
    Sie hatte eine Warze auf der Oberlippe und zweihundert Pfund in ihrem geblümten Kleid. Kars griff nach seinem Glas. Leider nur Wasser. »Das meine ich ja. Das alte Europa. Das neue ist ein Land, das es bisher noch nicht gibt.«
    Der Widerwille wuchs an zu einem Geschwür, dem mit Whiskey nicht mehr beizukommen war. Er stand hier nur deshalb, weil sein Name noch immer auf einer dieser Listen von Rednern prangte, die Lesungen auf Jubiläumsfeiern von Dahlienzüchtervereinen und für den Bund der Landfrauen hielten. Kars schaute auf die Uhr zwischen den toten Schweinen. Zeit, den Rückzug anzutreten. »Vielleicht sollten wir auf den französischen Staatsmann Giscard d’Estaing hören, bevor wir in Erwägung ziehen, auch noch die Türkei aufzunehmen«, sagte er.
    Hinten im Saal fing der Notarsanzug laut an zu applaudieren.
    Die Vorsitzende erhob sich aus ihrem Stuhl. »Ich glaube, wir haben genug gehört«, schnaufte sie. »Hat noch jemand Fragen?«
    Sie schaute sich pflichtschuldig im Saal um. Die Kulturbeflissenen von Otterlo strömten bereits in die angrenzende Kneipe. Der Einzige, der die Hand hob, war der Notarsanzug. Die Vorsitzende ignorierte ihn; Mildtätigkeit hatte ihre Grenzen.
    »Vielen Dank, Meneer Kars, Sie müssen jetzt sicher zurück nach Amsterdam? Kann ich noch etwas für Sie tun?«
    Für mich tun?, dachte Kars. Was konnte sie schon

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