Melodie der Liebe
PROLOG
Natasha marschierte zufrieden in ihr Zimmer zurück, ihre Augen blitzten triumphierend. So, Mikhail und Alexej fanden es also komisch, dem Hund ihren neuen BH und ihr Lieblingstrikot anzuziehen.
Aber die beiden hatten herausfinden müssen, was mit nervtötenden kleinen Brüdern passierte, wenn sie ihre gierigen Grabschhändchen nicht von Dingen ließen, die ihnen nicht gehörten.
Mik würde wahrscheinlich noch den ganzen Tag humpeln.
Und das Beste war, dass Mama ihnen befohlen hatte, Trikot und BH zu waschen. Mit der Hand. Und dann würden sie die Sachen draußen aufhängen müssen. Natashas Genugtuung wuchs. Einige von den Nachbarjungs würden sie bestimmt dabei sehen.
Sie würden vor Scham im Boden versinken.
Mama, so dachte sie jetzt, ist immer gerecht. Das war viel wirkungsvoller als der kräftige Tritt gegen das Schienbein, den sie ihrem Bruder versetzt hatte.
Natasha drehte sich zu dem hohen Spiegel an der Wand um und sank in ein tiefes Plié. Ihr vierzehnjähriger Körper zeigte die ersten Andeutungen von Rundungen an Brust und Hüften, sonst war er ebenso schlank wie der ihrer Brüder.
Ballettstunden hatten diesen Körper gelehrt, sich geschmeidig zu dehnen, die Gelenke darauf trainiert, den Anforderungen zu entsprechen. Hatten ihrem Geist Disziplin beigebracht.
Und ihrem Herzen die größte Freude gemacht.
Sie wusste, wie teuer diese Stunden waren und wie hart ihre Eltern dafür arbeiteten, ihr – und ihren Geschwistern – das zu erfüllen, was sie sich am meisten wünschte.
Dieses Wissen ließ sie härter trainieren als alle anderen in der Klasse.
Eines Tages würde sie eine berühmte Ballerina sein, und jedes Mal, wenn sie tanzte, würde sie in Gedanken ihren Eltern danken.
Ein Bild tauchte vor ihr auf – sie in einem schillernden Kostüm auf der Bühne. Sie konnte die Musik hören. Sie schloss die goldbraunen Augen und hob das fein modellierte Kinn ein wenig höher. Die langen schwarzen Locken schwangen sanft um ihre Schultern, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und eine langsame Pirouette drehte.
Als sie die Augen wieder öffnete, erblickte sie ihre Schwester im Türrahmen.
„Sie sind fast fertig mit dem Waschen“, verkündete Rachel. Sie betrachtete Natasha mit einer Mischung aus Neid und Stolz. Stolz, dass ihre Schwester so schön war, so hübsch aussah, wenn sie tanzte. Neid, weil sie mit ihren acht Jahren das Gefühl hatte, nie vierzehn zu werden, nie sohübsch zu sein, sich nie so anmutig bewegen zu können.
Natasha fielen nie die Spangen aus den Haaren, ihr Haar war immer ordentlich. Und sie bekam auch schon Brüste. Sicher, sie waren noch klein, aber sie waren da, kein Zweifel.
Rachels ganzer Ehrgeiz, ihr ganzes Trachten bestand darin, eines Tages vierzehn zu sein.
Natasha lächelte vor sich hin und drehte noch eine Pirouette. „Und? Beschweren sie sich?“
„Könnte man sagen.“ Rachels Lippen zuckten. „Wenn Mama nicht in der Nähe ist. Mik sagt, du hast ihm das Bein gebrochen.“
„Gut. Er hat es verdient. Weil er meine Sachen genommen hat.“
„Es war schon irgendwie lustig.“ Rachel hüpfte auf dem Bett herum. „Sasha sah so albern aus in dem hübschen weißen BH und dem pinkfarbenen Tutu.“
„Irgendwie, ja“, gab Natasha zu. Sie ging zur Kommode und nahm ihre Haarbürste. „Und als sie dann ,Schwanensee‘ aufgelegt und mit ihm getanzt haben.“ Sie strich sich durch das lange Haar. „Na ja, es sind eben nur Jungs.“
Rachel rümpfte die Nase. Jungen hatten bei ihr momentan keinen sehr hohen Stellenwert. „Jungs sind doof. Sie sind zu laut, und sie stinken auch immer. Ein Mädchen zu sein ist viel besser.“ Auch wenn sie ausgewaschene Jeans, ein ausgeleiertes T-Shirt und eine Baseballkappe trug – sie war fest davon überzeugt. Ihre Augen, die die gleiche Farbe hatten wie die ihrer Schwester, begannen zu funkeln. „Wir könnten uns an ihnen rächen.“
Natürlich sagte sie sich, dass sie längst über solchen Dingen stand, trotzdem beäugte Natasha ihre Schwester mit wachsendem Interesse. Rachel mochte die Jüngste sein, aber sie war gerissen. „Und wie?“
„Miks Baseballshirt.“ Für das Rachel eine heimliche Schwäche hatte. „Ich denke, es würde Sasha richtig gut stehen. Solange sie draußen sind, können wir es holen.“
„Niemand weiß, wo er es versteckt, wenn er es nicht trägt.“
„Ich weiß es.“ Rachel grinste breit über das ganze hübsche Gesicht. „Ich weiß alles. Ich sage dir, wo es ist, damit du es ihm
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