Mephisto
Lehnstuhl nieder, der am geöffneten Fenster stand. Das Buch, nach dem er gegriffen hatte, legte er enerviert wieder zur Seite: es waren ›Les Fleurs du Mal‹, sie erinnerten ihn an Juliette.
Durch das Fenster hatte man den Blick in den dunklen Garten, aus dem Düfte und Feuchtigkeit stiegen. Hendrik fröstelte, er zog sich den seidenen Schlafrock über der Brust zusammen. Was für einen Monat hatte man denn? April – oder schon Anfang Mai? Er empfand es plötzlich als bitter traurig, daß er, seit so langer Zeit, das Nahen des Frühlings und seine schöne Verwandlung in den Sommer übersah. Dieses verfluchte Theater, dachte er schmerzlich und zornig – es frißt mich auf. Über ihm versäume ich das Leben.
Er saß mit geschlossenen Augen, als eine rauhe Stimme ihn anrief: »Holla! Herr Intendant!«
Hendrik fuhr in die Höhe.
Aus dem Garten war ein Kerl zu seinem Fenster hinaufgeklettert –: eine akrobatische Leistung; denn es gab kein Spalier. Seine Gestalt erschien bis zur Brust im Fensterrahmen. Hendrik war furchtbar erschrocken. Er überlegte sich einige Sekunden lang, ob es sich um eine Vision handle, um ein Erzeugnis seiner überreizten Nerven. Aber nein, der Bursche sah nicht aus wie eine Halluzination. Ganz entschieden: der lebte. Er trug eine graue Schirmmütze und eine schmutzige blaue Bluse. Die obere Hälfte seines Gesichtes lag in tiefem Schatten. Die untere Gesichtspartie war bedeckt von einem stoppeligen Bart rötlicher Färbung.
»Was wollen Sie?!« schrie Höfgen; dabei tastete er hinter sich, nach der Klingel, die auf dem Schreibtisch stand.
»Schrei doch nicht so!« sagte der Mann, dessen Stimme nicht ohne eine gewisse rohe Gutmütigkeit war. »Ich tu dir ja nichts.«
»Was wollen Sie von mir?« wiederholte Hendrik, nun etwas leiser.
»Ich komme nur, um dir Grüße auszurichten«, sagte der Mann im Fenster. »Grüße von Otto.«
Hendriks Gesicht war weiß geworden wie das seidene Tuch, das er um den Hals geschlungen trug. »Ich weiß gar nicht, von welchem Otto Sie sprechen.« Seine Stimme war beinahe tonlos.
Das kurze Gelächter, das ihm vom Fenster her antwortete, hatte einen recht schaurigen Klang. »Na, was wollen wir wetten, daß du noch darauf kommst?« fragte der Besucher mit einer drohenden Neckerei. Aber er wurde ganz ernst, als er fortfuhr: »Auf dem letzten Zettel, den ich von Otto bekommen habe, stand ausdrücklich, daß wir dich grüßen sollen. Glaube nur nicht, daß ich zum Vergnügen hergekommen bin. Aber Ottos Wünsche werden von uns respektiert.« Hendrik konnte nur flüstern: »Ich muß die Polizei anrufen, wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden!«
Daraufhin wurde das Gelächter des Menschen beinahe herzlich. »Du wärest dazu imstande, Genosse!« rief er aufgeräumt. Hendrik öffnete, so unauffällig es sich irgend machen ließ, eine Schublade des Schreibtisches und ließ einen Revolver in seine Tasche gleiten. Er hoffte, der Gast im Fenster würde es nicht bemerken; aber der rief schon – wobei er sich mit einer höchst verächtlichen Gebärde die Mütze aus der Stirn schob: »Das Ding hättest du auch in der Schublade lassen können, Herr Intendant. Hat doch gar keinen Zweck zu knallen – das macht dir nur Unannehmlichkeiten. Wovor hast du denn Angst? Ich hab' dir doch eben gesagt, daß ich dir diesmal nichts tun werde.«
Der Mann war viel jünger, als Hendrik zunächst geglaubt hatte: nun, da der Schatten der Mütze nicht mehr auf seiner Stirne lag, stellte es sich heraus. Er hatte ein schönes, wildes Gesicht mit breiten, slawischen Wangenknochen und merkwürdig hellen, stark grünen Augen. Brauen und Wimpern hatten die rötliche Farbe, welche auch die dicken und harten Bartstoppeln zeigten. Übrigens war auch die Haut seines Gesichtes von einem leuchtenden Ziegelrot, wie man es bei Leuten findet, die den ganzen Tag im Freien arbeiten oder herumliegen und sich von der Sonne anscheinen lassen.
Er ist vielleicht wahnsinnig, dachte Hendrik, und diese Erwägung, obwohl sie doch die schlimmsten Perspektiven eröffnete, hatte etwas Beruhigendes, beinahe Tröstliches für ihn. Ich halte für sehr wohl möglich, daß er wahnsinnig ist. Bei gesundem Verstand würde er mir doch nicht diese tolle Visite machen, die ihn das Leben kosten könnte und die niemandem nützt. Kein Vernünftiger setzt so viel aufs Spiel, nur um mich ein bißchen zu erschrecken. Es ist kaum denkbar, daß wirklich Otto es war, der ihm dazu den Auftrag gegeben hat. Otto neigte keineswegs
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