Die Elenden von Lódz
|5| Rundschreiben
Lodsch, am 10. Dezember 1939
Geheim!
Streng vertraulich!
Bildung eines Gettos in der Stadt Lodsch
In der Großstadt Lodsch leben m. E. heute ca. 320 000 Juden. Ihre sofortige Evakuierung ist nicht möglich. Eingehende Untersuchungen aller in Frage kommenden Dienststellen haben ergeben, dass eine Zusammenfassung sämtlicher Juden in einem geschlossenen Getto nicht möglich ist. Die Judenfrage in der Stadt Lodsch muss vorläufig in folgender Weise gelöst werden:
1. Die nördlich der Linie Listopada/Novemberstraße, Freiheitsplatz, Pomorska/ Pommerschestraße wohnenden Juden sind in einem geschlossenen Getto dergestalt unterzubringen, dass einmal der für die Bildung eines deutschen Kraftzentrums um den Freiheitsplatz benötigte Raum von Juden gesäubert wird, und zum anderen, dass der fast ausschließlich von Juden bewohnte nördliche Stadtteil in dieses Getto einbezogen wird.
2. Die im übrigen Teil der Stadt Lodsch wohnenden arbeitsfähigen Juden sind zu Arbeitsabteilungen zusammenzufassen und in Kasernenblocks unterzubringen und zu bewachen.
Die Vorarbeiten und Durchführung dieses Planes soll ein Arbeitsstab ausführen, in den folgende Behörden bzw. Dienststellen Vertreter entsenden:
1. N.S.D.A.P.
2. Außenstelle Lodsch des Regierungspräsidenten zu Kalisch
3. Stadtverwaltung der Stadt Lodsch (Wohnungsamt, Bauamt, Gesundheitsamt, Ernährungsamt usw.)
|6| 4. Ordnungspolizei
5. Sicherheitspolizei
6. Totenkopfverband
7. Industrie- und Handelskammer
8. Finanzamt
Weiterhin sind folgende Vorarbeiten zu leisten:
1. Festlegung der Abriegelungseinrichtungen (Anlage von Straßensperrungen, Verbarrikadierungen von Häuserfronten und Ausgängen usw.).
2. Festlegung der Bewachungsmaßnahmen der Umgrenzungslinie des Gettos.
3. Beschaffung der erforderlichen Materialien für die Abriegelung des Gettos durch die Stadtverwaltung Lodsch.
4. Treffen von Vorkehrungen, dass die gesundheitliche Betreuung der Juden innerhalb des Gettos durch Überweisung von Arzneimitteln und ärztlichen Instrumenten (aus jüdischen Beständen), insbesondere von dem Standpunkt der Seuchenbekämpfung aus, gewährleistet ist.
5. Vorbereitungen für die spätere Regelung der Fäkalienabfuhr aus dem Getto und Regelung des Abtransportes von Leichen zum jüdischen Friedhof, bzw. Errichtung eines Friedhofes innerhalb des Gettos.
6. Sicherstellung der im Getto benötigten Mengen von Heizmaterial.
Nach Erledigung dieser Vorarbeiten und nach Bereitstellung der genügenden Bewachungskräfte soll an einem von mir zu bestimmenden Tag schlagartig die Errichtung des Gettos erfolgen, das heißt, zu einer bestimmten Stunde wird die festgelegte Umgrenzungslinie des Gettos durch die hierfür vorgesehenen Bewachungsmannschaften besetzt und die Straßen durch spanische Reiter und sonstige Absperrungsvorrichtungen geschlossen. Gleichzeitig wird mit der Zumauerung bzw. anderweitigen Sperrung der Häuserfronten durch jüdische Arbeitskräfte, die aus dem Getto zu nehmen sind, begonnen. Im Getto selbst wird sofort eine jüdische Selbstverwaltung eingesetzt, die aus dem Judenältesten und einem stark erweiterten Gemeindevorstand [
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] besteht.
Durch das Ernährungsamt der Stadt Lodsch werden die erforderlichen Lebensmittel und Brennstoffe an zu bestimmenden Punkten des Gettos angefahren und den Beauftragten der jüdischen Selbstverwaltung zur Verwertung übergeben. Grundsatz muss dabei sein, dass Lebensmittel und Brennstoffe nur durch Tauschware wie Textilien usw. bezahlt werden dürfen. Es muss auf diese |7| Weise gelingen, dass wir die von den Juden gehamsterten und versteckten Sachwerte restlos herausholen.
Bei der Abkämmung der übrigen Stadtteile nach arbeitsunfähigen Juden, die gleichzeitig bzw. kurz nach Erstellung des Gettos in das Getto abgeschoben werden, sind auch die dort wohnenden arbeitsfähigen Juden sicherzustellen. Sie sollen zu Arbeitsabteilungen zusammengefasst und in vorher durch die Stadtverwaltung und die Sicherheitspolizei festgelegten Kasernenblocks untergebracht und dort bewacht werden.
Aus Vorstehendem ergibt sich, dass zum Arbeitseinsatz zunächst die Juden genommen werden, die außerhalb des Gettos ihren Wohnsitz haben. Die in den Arbeitskasernen arbeitsunfähigen oder krank werdenden Juden sind in das Getto zu überweisen. Die im Getto wohnenden noch arbeitsfähigen Juden sollen die innerhalb des Gettos anfallenden Arbeiten erledigen. Ich werde später bestimmen, ob
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