Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Topfklappern aus der Küche weg und auf das Gespräch zu lenken, hatte er das Wichtigste bereits verpasst. Die Dame am anderen Ende redete viel zu schnell. Sie war aus Norddeutschland.
Er bat sie, sie möge alles noch einmal wiederholen, diesmal verstand er wenigstens die Adresse, zu der er kommen sollte. Er konnte es kaum glauben: Die Stimme am anderen Ende nannte seinen eigenen Wohnort: Altusried.
»Kreuz …«, verbiss er sich einen weiteren Fluch. Nicht einen Bissen hatte er angerührt und jetzt das. Ein Toter, soviel hatte er mitbekommen. Das konnte ja heiter werden. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Er konnte sich entweder noch schnell umziehen oder sich ein paar Kässpatzen einverleiben. Kluftinger setzte sich hin und begann zu essen.
***
Als er das Haus des Toten betrat, verwünschte er sich dafür, dass er sich fürs Essen entschieden hatte. Es war lange her, dass er die letzte Leiche zu Gesicht bekommen hatte. Jetzt kamen die Erinnerungen wieder hoch – und die Spätzle, die er gerade noch so hastig verschlungen hatte, wollten dasselbe tun. Ihm war eigentlich schon immer schlecht geworden, wenn er einen Toten gesehen hatte. Das war bereits als Kind losgegangen, als ihn sein Vater, der Dorfpolizist, einmal mitgenommen hatte, um ihm seine erste Leiche zu zeigen. Sein Vater hatte darin wohl so etwas wie einen Initiationsritus gesehen, einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Mann. Kluftinger war damals 12 Jahre alt gewesen.
Er erinnerte sich nur noch schemenhaft daran, wie die Leiche ausgesehen hatte. Sie hatte aufgebahrt in einem gekachelten Raum im Keller des örtlichen Polizeireviers gelegen. Es war ein älterer Mann gewesen, der sich »totgesoffen« hatte, wie sein Vater verächtlich sagte. Woran sich Kluftinger aber noch genau erinnern konnte, war der Geruch. Er war schon immer sehr sensibel gewesen, was Gerüche betraf und er konnte sie sich meist besser merken als etwa Gesichter oder Telefonnummern.
Es war ein leicht süßlicher, feuchter Geruch, kein sehr starker, aber ihm hatte er damals den Atem geraubt. Er hatte sich noch auf dem Weg nach oben übergeben – eine peinliche Tatsache, die sein Vater noch heute gerne zum Besten gab.
Seitdem rochen für Kluftinger alle Toten gleich. Auch heute. Dabei hatte er ihn noch gar nicht gesehen. Er hatte nur die Eingangstür des Hauses passiert, schon kam ihm einer seiner Kollegen entgegen. »Also ich weiß … ich meine … nicht … ich war …«, sagte Eugen Strobl. Er war sehr aufgeregt. Obwohl es in der Wohnung an diesem kühlen Sommerabend nicht sonderlich heiß war, schwitzte er. Schließlich schüttelte er den Kopf: »Schau’s dir selbst an.« Seine Hand deutete den Hausgang entlang auf eine verglaste Tür.
Kluftinger ging langsam in die ihm gewiesene Richtung. Seine Übelkeit meldete sich wieder. Mit jedem Schritt schien der Geruch intensiver zu werden.
»Na, da haben Sie sich für den Anlass ja extra fein gemacht.«
Dr. Martin Langhammer betrachtete abschätzig Kluftingers Aufzug.
Wer hat den denn hier rein gelassen, verfluchte Kluftinger innerlich seine Kollegen.
»Die Beamten haben mich gleich geholt, ich war im Garten und habe den Streifenwagen gesehen«, beantwortete Langhammer den fragenden Blick Kluftingers. Der Kommissar erinnerte sich wieder daran, dass Langhammer gleich nebenan wohnte. Immerhin musste er schon einmal – auf Drängen seiner Frau – ein Abendessen im luxuriös ausgestatteten Flachdach-Bungalow der Langhammers über sich ergehen lassen.
Na prima, heute kommt ja mal wieder alles zusammen, dachte sich der Kommissar, sagte ein flüchtiges »Danke« in Langhammers Richtung und setzte dann seinen Gang entschiedener fort. Vor Langhammer wollte er sich keine Blöße geben.
»Ich hoffe, Sie haben einen stabilen Magen«, rief der ihm hinterher.
Noch bevor er das Zimmer mit der Leiche betreten konnte, kam ihm ein weiterer Kollege entgegen. Richard Maier war groß, schlank, manche sagten sogar dürr. Sein Gesicht war blass, die dunkelbraunen Haare wie immer mit Pomade zu einem korrekten Scheitel an den Kopf geklatscht. Er trug ein altes Cordsakko, das längst aus der Mode gekommene lederne Ärmelschoner aufgenäht hatte. In der Hand hielt er ein Diktiergerät.
»Abend«, sagte Kluftinger kurz, ohne ihn anzusehen.
»Ja, der Herr Kluftinger findet sich auch schon am Ort des Geschehens ein. Kaum wartet man eine halbe Stunde …«, sagte der mit gespielter Empörung, unterbrach seinen Satz aber, als er Kluftingers
Weitere Kostenlose Bücher