Milchschaum
um.
Seit Frau Praml im vorigen Jahr dem Frauenbund beigetreten war, passte sie Fanni mehr oder weniger regelmäßig ab, um ihr zu erzählen, »was Sache war«.
Vor wem sonst hätte Frau Praml damit wichtigtun können. Die anderen Frauen in der Nachbarschaft wussten längst, »was Sache war«, weil sie selbst dem Frauenbund angehörten, und die Männer kommunizierten auf eigenen Kanälen.
Nur Fanni erschien jeden Morgen unbeschrieben wie ein Fetzen Rohzellstoff vor ihrer Haustür.
»Sie werden es wohl schon wissen«, rief Frau Praml.
Fanni trat näher an den Zaun und dankte einer Wolke dafür, dass sie eilig davonwehte und eine Schneise aus Sonnenlicht am Zaun entlang aufblinken ließ. Was heute Sache war, würde etwas Zeit in Anspruch nehmen.
»Pfarrer Winzig«, sagte Fanni.
Sie musste sich immer auf die Unterlippe beißen, wenn sie den Namen aussprach, weil der Pfarrer alles andere als wenig gewesen war. Erst letzte Woche hatte ihn Hans Rot auf hundertzwanzig Kilo geschätzt. Und die Damen vom Frauenbund mästen ihn täglich weiter, hatte Fanni gedacht, aber an diesem Tag besonnen den Mund gehalten.
»Unser lieber, herzensguter Herr Pfarrer«, krächzte Frau Praml.
Hört sich nach Elsie Kraft an, dachte Fanni. Aus Frau Pramls Erzählungen hatte sie geschlossen, dass die erste Sopranistin des Chors mit der amtierenden Vorsitzenden des Frauenbundes um die Gunst des Pfarrers rivalisierte und dabei deutlich vorne lag. Fanni erinnerte sich an einen Ausspruch des Pfarrers, den ihr Frau Praml einmal zitiert hatte: »»Elsie singt wie ein Engel, und ihre Milchweckerl schmecken wie Manna.««
»Unser Licht im Dunkel«, machte Frau Praml weiter.
Amtierende Vorsitzende, vermutete Fanni. Aus diversen Rundschreiben des Frauenbundes kannte sie Rosie Hüblers Vorliebe für Metaphern.
»Wir beten stündlich für ihn und dafür, dass wir ihn bald beerdigen dürfen«, sagte Frau Praml.
»Die Frist liegt bei drei Tagen, soviel ich weiß«, erwiderte Fanni.
Frau Praml sog scharf die Luft ein. »Sie wissen es doch noch nicht!«
Was für ein Es hat sie nun wohl auf Lager?, fragte sich Fanni.
»Unser geliebter Herr Pfarrer (Elsie Kraft?) ist noch gestern Abend in die Gerichtsmedizin nach München überführt worden.«
Nun war es an Fanni, die Luft scharf einzuziehen. Frau Praml freute sich sichtbar über die plötzlich intensivierte Aufmerksamkeit und ließ sich nicht lange bitten.
»Dr. Wieser hat sich nicht getraut, einen Totenschein auszustellen, weil er nicht wusste, was er als Todesursache angeben sollte. Er und der halbe Schützenverein haben deutlich gesehen, dass Pfarrer Winzig eine blutende Wunde am Kopf hatte. Deswegen wollte sich der Doktor absichern. Er sagt, vom bloßen Hinschauen kann kein Mensch feststellen, woran unser Herr Pfarrer letztendlich gestorben ist. Er könnte gestolpert und so unglücklich gefallen sein, dass er an seiner Kopfverletzung starb, er könnte aber auch einen Schlaganfall erlitten und sich die Kopfwunde erst zugezogen haben, als er zusammenbrach. Verstehen Sie, Frau Rot?«
»Vernünftiger Mann, unser Dr. Wieser«, meinte Fanni dazu.
Frau Praml stöhnte auf. »Wieser ist ein Sadist, wie kann er unseren Leitstern zerstückeln lassen?«
Amtierende Vorsitzende, mutmaßte Fanni. Laut sagte sie: »Ich kann mir vorstellen, dass sich Dr. Wieser strafbar gemacht hätte, wenn er die Todesursache bloß geraten hätte.«
Frau Praml blieb ungerührt. Deshalb fügte Fanni an: »Wir wollen doch alle wissen, weshalb unser lieber Herr Pfarrer verschieden ist.«
»Nicht um einen solchen Preis«, widersprach Frau Praml. »Hochwürden Winzig sollte in Frieden ruhen – unversehrt wie eine Schneeflocke auf dem Grönlandeis.«
»Das wird er«, nickte Fanni um Ernsthaftigkeit bemüht. Sie überkreuzte die Arme vor der Brust. »Kalt.«
»Wärmer als gestern«, bemerkte Frau Praml.
Klartext: Fanni Rot, du bleibst hier stehen und palaverst mit mir!
Fanni unterdrückte einen Seufzer und ließ den Blick über den Erlenweiler Ring schweifen. An der Einmündung zur Hauptstraße tauchte eine Gestalt auf.
»Rosie«, sagte Frau Praml neben ihr deutlich überrascht.
»Rosie?«
»Rosie Hübler, unsere Vorsitzende«, äußerte Frau Praml im selben Ton, in dem sie ihrem Sohn erklärte, dass man zur Sonntagsmesse nicht im Fußballdress erschien.
Jetzt erkannte auch Fanni die eilig näher kommende Frau Hübler.
Als die amtierende Vorsitzende des Birkdorfer Frauenbundes auf Höhe des Kundler’schen
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