Mission Arktis
Brombeerbusch herum, aber für Beeren war es noch zu früh im Jahr. Der kleine Bär spielte in dem Strauch, ohne den eins fünfundachtzig großen Wildhüter zu bemerken, der schwitzend in der Nachmittagssonne stand. Unter den wachsamen Augen seiner Mutter hatte das Jungtier nicht viel zu befürchten. Ihr muskulöser Körper, die gelblichen Zähne und die zehn Zentimeter langen Klauen waren Schutz genug.
Matts feuchte Handfläche ruhte auf dem Pfefferspray, das er in einem Halfter bei sich trug. Mit der anderen Hand griff er langsam nach dem Gewehr über seiner Schulter. Geh bitte nicht auf mich los, Schätzchen … mach den Tag für mich nicht noch schlimmer, als er schon ist! Heute früh hatte er schon mit seinen Hunden Ärger gehabt und sie deshalb angebunden an seinem Lagerplatz zurückgelassen.
Langsam legte die Bärin die Ohren an den Schädel. Sie kauerte sich auf die Hinterbeine, während sie auf den Vordertatzen leicht auf und ab hüpfte. Eine eindeutige Pose, um potenzielle Feinde von vornherein abzuschrecken.
Matt unterdrückte ein Stöhnen. Am liebsten wäre er einfach losgerannt, aber er wusste, dass die Bärin sich augenblicklich an seine Fersen heften würde. Also machte er ganz behutsam einen einzigen Schritt rückwärts, sorgfältig darauf bedacht, auf keinen Zweig zu treten. Er trug alte Elchlederstiefel, handgefertigt von seiner Exfrau, die das Handwerk von ihrem Vater, einem Inuk, gelernt hatte. Zwar waren sie inzwischen seit drei Jahren geschieden, aber in diesem Moment wusste Matt ihre Fähigkeiten ganz besonders zu schätzen: Auf den weichen Sohlen konnte er sich fast lautlos fortbewegen.
Langsam zog er sich weiter zurück.
Wenn er in der Wildnis einem Bären begegnete, bestand die beste Verteidigung normalerweise darin, Lärm zu machen: Rufen, Schreien und Pfeifen vertrieb die scheuen Raubtiere. Aber wenn man wie er heute beim Überschreiten einer Hügelkuppe völlig unvermittelt auf ein MutterKindPärchen wie dieses stieß, wenn man ohne Vorwarnung einem Ursus arctos horribilis gegenüberstand, dann konnte jede abrupte Bewegung die Bärenmutter dazu bringen, sich auf einen zu stürzen. Jedes Jahr gab es in Alaska tausende von Bärenattacken, darunter mehrere hundert mit tödlichem Ausgang. Erst vor zwei Monaten waren er und ein Kollege mit dem Kajak einen Nebenarm des Yukon River hinuntergefahren, um zwei vermisste Rafter zu suchen, doch sie hatten nur noch die Überreste ihrer halb aufgefressenen Leichen gefunden.
Matt kannte sich aus mit Bären. Er wusste, dass man sich beim Wandern immer nach ihren Erkennungszeichen umsehen musste: frische Kothaufen, aufgewühlte Erde, Klauenspuren in den Baumstämmen. Er trug eine Bärenpfeife um den Hals und das Pfefferspray am Gürtel. Außerdem betrat kein Mensch, der seine fünf Sinne einigermaßen beisammen hatte, das Hinterland von Alaska ohne Gewehr. Aber im Lauf seines zehnjährigen Aufenthalts in den Naturparks und der wilden Landschaft von Alaska hatte er gelernt, dass hier draußen das Unerwartete zum Alltag gehörte. Gegen die Wildnis von Alaska – einem Staat, der größer war als Texas und in dem die meisten Gebiete nur mit dem Schwimmerflugzeug zu erreichen waren – wirkte die Wildnis der südlicheren Bundesstaaten eher wie ein DisneyThemenpark: zahm, überlaufen, kommerzialisiert. Aber hier in Alaska regierte die Natur in ihrer ganzen brutalen Majestät.
Im Moment hoffte Matt natürlich, dass der brutale Teil eine Pause einlegte. Vorsichtig setzte er seinen Rückzug weiter fort. Die Bärin hielt ihre Stellung. Dann bemerkte das Kleine – wenn man einen siebzig Kilo schweren Ball aus Fell und Muskeln als klein bezeichnen konnte – endlich den Fremden. Es stellte sich auf die Hinterbeine, beäugte ihn und wackelte mit dem Kopf, ein Schauspiel, das männliche Aggression fast komisch erscheinen ließ. Aber dann tat es genau das, was Matt die ganze Zeit befürchtet hatte: Es ließ sich auf alle viere nieder und kam auf ihn zugehoppelt. Obgleich es immer noch eher spielerisch und neugierig als angriffslustig wirkte, war es dennoch ein tödlicher Schachzug.
Von dem Kleinen hatte Matt nichts zu befürchten – mit ein bisschen Pfefferspray konnte man ihn ohne weiteres zum Umkehren bewegen –, aber die Reaktion seiner Mutter war eine ganz andere Sache. Für sie war der Pfeffer bestenfalls ein Gewürz, das ihn noch schmackhafter machte, wenn sie sich auf ihn stürzte. Ein Kopfschuss mit seiner MartinSportflinte würde auch nichts bringen,
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