Mit verdeckten Karten
gegangen wäre. Wahrscheinlich war es also doch nicht Platonow, der Agajew den Papierstreifen ausgehändigt hatte. Das graphologische Gutachten würde noch nicht so schnell vorliegen, weil in der entsprechenden Abteilung überhaupt nichts schnell ging. Nicht deshalb, weil die Leute dort Nichtstuer und Faulenzer waren, mitnichten, sie arbeiteten, bis ihnen die Hände abfielen, aber in dieser Abteilung gab es mehr unbesetzte Stellen als besetzte, und die Nachfrage nach Gutachten wuchs entsprechend dem Anstieg der Kriminalität in der Stadt. Als Muster zum Schriftvergleich hatte man den Graphologen Schriftzüge von Platonow, seiner Frau Valentina, von Agajew, Tarassow, Sergej Russanow und noch einigen anderen Leuten vorgelegt.
Doch solange das Gutachten auf sich warten ließ, blieb genug Raum zum Verdacht gegen Platonow. Und jetzt plötzlich dieser seltsame Anruf mit dem Hinweis auf den stellvertretenden Direktor des Büros für Visa- und Paßangelegenheiten. Wollte Platonow sie zum Narren halten?
Nastja öffnete das Telefonbuch und fand die Nummer des Büros für Visa- und Paßangelegenheiten. Die stellvertretende Direktorin war eine Lamara Uschangowna Bizadse. Nastja mußte grinsen. Lamara Bizadse war in ganz Moskau berühmt dafür, daß sie nach dem Antritt ihres Postens im Zentralbezirk sofort damit begonnen hatte, jede Person, die einen Reisepaß für das Ausland beantragt hatte und bereits überprüft worden war, noch einmal zu überprüfen. Sie hing tagelang am Telefon, fragte den Mädchen im Adressenbüro Löcher in den Bauch, verglich Namen und Zahlen, Geburtsdaten, Adressen und Telefonnummern, und am Ende fischte sie jeden heraus, dem man unter Umgehung der Vorschriften einen Reisepaß ausgestellt hatte und dem ein Visum für das Ausland nicht zustand.
Was sollte die Behauptung bedeuten, daß Lamara Uschangowna ihrer Arbeit nur mangelhaft nachkam? Hatte sie aufgehört, die Leute über das Adressenbüro zu überprüfen? Hatte sie selbst angefangen, Schmiergelder zu nehmen? Oder . . .
Nastja wählte die Telefonnummer der Bizadse. Lamara hatte eine tiefe, eindrucksvolle Altstimme, von der, wie es schien, der Telefonhörer zu vibrieren begann. Sie hörte sich schweigend Nastjas seltsame Darlegungen an.
»Ja, ich habe heute Auskünfte im Adressenbüro eingeholt«, sagte sie.
»Wie viele?«
»Sechs oder sieben, genau weiß ich nicht mehr. Aber ich kann nachsehen, wenn es wichtig ist.«
»Lamara Uschangowna, könnten Sie im Adressenbüro anrufen und darum bitten, daß man genau feststellt, welche Auskünfte Sie heute eingeholt haben?«
»Du lieber Himmel, wozu denn?« fragte die Bizadse erstaunt. »Ich kann doch in meinen Akten nachsehen und Ihnen alles selbst sagen.«
»Ich bitte Sie trotzdem, im Adressenbüro anzurufen. Ich habe den Verdacht, daß dort heute jemand unter Ihrem Namen eine Auskunft eingeholt hat.«
»Gut, ich werde anrufen«, seufzte Lamara.
Nach einer halben Stunde läutete bei Nastja das Telefon.
»Offenbar können Sie hellsehen«, sagte die Bizadse mit irgendwie fröhlicher Stimme. »Ich habe sieben Auskünfte eingeholt, und im Adressenbüro liegen auf meinen Namen acht vor. Nach Kira Wladimirowna Lewtschenko, geboren 1965, wohnhaft in der Iwanowskaja Straße 18, Wohnung Nr. 103, habe ich mich nicht erkundigt. Wer ist denn diese Lewtschenko?«
»Das weiß der Teufel!« erwiderte Nastja ärgerlich. Dieser seltsame Platonow hatte offenbar nichts Besseres zu tun, als ihr Rätsel aufzugeben. Als hätte sie nicht genug anderes im Kopf.
Woher konnte Platonow wissen, daß jemand beim Adressenbüro angerufen und unter dem Namen von Lamara Bizadse eine Auskunft eingeholt hatte? Er konnte es von niemandem wissen, es mußte sein eigenes Werk sein. Am ehesten war es so, daß er die Frau, bei der er wohnte, beauftragt hatte, im Adressenbüro anzurufen und sich nach Kira Wladimirowna Lewtschenko zu erkundigen. Aber warum hatte er das getan? Warum dieses Verwirrspiel mit dem stellvertretenden Direktor des Büros für Visa- und Paßangelegenheiten? Warum hatte er Nastja nicht direkt wissen lassen, was sie über diese Kira Lewtschenko wissen mußte? Irgendein Schwachsinn.
Oder hatte das alles doch einen verborgenen Sinn? Hatte Platonow diesen Umweg gewählt, weil der direkte Weg unmöglich war? Sie durfte sich über Platonow nicht ärgern, sondern mußte versuchen, ihn zu verstehen. Schließlich war er kein Dummkopf. Warum der Umweg? Weil das, was er ihr zu sagen hatte, unmittelbar mit der Frau
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