Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
ebenso gemeinschaftlich genutzt wie die Spielsachen. Dass es so was wie eine Intimsphäre geben könnte, war uns völlig unvorstellbar. Noch heute ist es für mich das Selbstverständlichste auf der Welt, zum Beispiel einem Gast mein Bett zur Verfügung zu stellen. Dass es mindestens ebenso selbstverständlich ist, anschließend wenigstens die Bettwäsche zu wechseln, kapierte ich erst kürzlich, als eine Freundin, die bei mir übernachtete, mich darauf hinwies.
Wenn Stefan Lust auf sich selber hatte – und das passierte mehrmals täglich, rund um die Uhr –, scherte es ihn keinen Deut, wer ihm dabei zusah. Meine Eltern taten, als merkten sie es nicht. Das Kinderzimmer war für sie sowieso wie ein anderer Stern. Es gehörte irgendwie nicht zur Wohnung, und was darin vor sich ging, interessierte sie nicht.
Tante Inge war die Einzige, die an Stefans öffentlicher Onanie Anstoß nahm. Nie werde ich ihr Gesicht vergessen, als sie meinen Bruder zum ersten Mal in sich selbst vertieft zwischen uns spielenden Geschwistern sah! Hastig zerrte sie uns aus dem Zimmer.
»Das ist nichts für euch«, sagte sie. »So etwas tut man nicht, wenn andere es sehen.«
»Warum?«, wollte Georg wissen. »Stefan sagt, es ist geil.«
Meine Tante wurde rot. »Das ist ein hässliches Wort. Ich will es nicht mehr hören. Versprichst du mir das?«
Georg nickte. Wie es so seine Art war, warf er sich Tante Inge an den Hals und fing an, die Finger spazieren zu lassen.
Meine Tante Inge schüttelte lächelnd den Kopf. »Hör schon auf, du Schmusekater.«
Georg strahlte. »Ich bin echt gut, was?«, rief er. »Dazu bin ich doch super zu gebrauchen, oder?«
An diesem Nachmittag blieb Tante Inge, anders als sonst, so lange bei uns, bis mein Vater kam. »Mani«, sagte sie, als sie sein überraschtes Gesicht sah, »ich muss mit dir reden. So geht’s hier nicht weiter. Du musst mir jetzt mal zuhören!«
Mein Vater zögerte. »Hast du wieder unsere Wohnung in Schuss bringen müssen?«, fragte er und nahm Tante Inges Hand. »Du bist so gut zu uns. Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.«
»Ich mach’s ja gern«, sagte Tante Inge und schob uns in die Essdiele, wo sie den Tisch gedeckt hatte. »Aber ich muss trotzdem mit dir reden. Es ist meine Pflicht als Christ und als deine Schwester.«
Wenn Tante Inge von Christenpflicht sprach, wurde es ernst, das wusste jeder von uns, auch mein Vater.
»Esst, und rührt euch nicht vom Fleck!«, sagte er, während er mit Tante Inge ins Wohnzimmer ging. »Worum geht es denn?
Hat Monika etwa wieder Unsinn erzählt?«
Tante Inges Antwort verstanden wir nicht mehr. Doch natürlich hielt uns die Neugier nicht auf unseren Stühlen. Boris wollte auf Zehenspitzen zur Wohnzimmertür schleichen, um zu lauschen. Aber Georg hielt ihn grinsend zurück und winkte uns, den Finger am Mund, ins Schlafzimmer. Ein kluges Bürschchen, mein kleiner Bruder – denn durch das Loch in der Wand, das mein Vater für ein Kabel gebohrt hatte, das vom Schlaf- ins Wohnzimmer führte, konnten wir jedes Wort verstehen.
»Ich habe schließlich auch Söhne«, sagte unsere Tante Inge soeben. »Aber so etwas habe ich mit ihnen noch nie erlebt. Befriedigt sich selbst, wenn die Kleinen im Zimmer sind! Das ist verboten, Mani! Das ist nicht normal! Versprich mir, dass du darauf achtest, dass es nicht wieder passiert!«
»Inge«, gab mein Vater zurück, »du schießt mit Kanonen auf Spatzen. Wenn Stefan das tatsächlich gemacht hat, dann hat er sich halt mal vergessen. In seinem Alter kann das schon mal passieren; da probiert man eben alles Mögliche aus. Wenn du das bei deinen beiden noch nie mitgekriegt hast, haben sie’s bloß geschickter getarnt. Alle Jungs spielen an sich selbst herum, das weißt du doch!«
»Mag ja sein«, sagte Tante Inge. »Aber doch nicht so, ohne alle Hemmungen, wenn andere dabei sind!«
»Wir sind da nun mal offener«, antwortete mein Vater. Dann seufzte er tief. »Wenn das alles wäre – ich meine, dass Stefan mal das Schamgefühl vergisst –, wenn sonst alles in Ordnung wäre, lieber Himmel, ich würde mich gar nicht beklagen.«
»Wieder mal Lena?«, fragte Tante Inge voller Mitleid. »Ist es denn immer noch so schlimm?«
»Ich halt’s bald nicht mehr aus«, sagte mein Vater mit brechender Stimme, als könne er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. »Sie bringt mich noch zur Verzweiflung. Dieser Schmutz! Kein gebügeltes Hemd! Und dann erst die Schulden! Wenn sie wenigstens mit Geld umgehen könnte.
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