Monkeewrench 05 - Sieh mir beim Sterben zu
unterscheiden können. Und was machst du? Gehst zu den Angebern, die keine Ahnung vom richtigen Leben haben.
Sein Vater war nicht zu seiner Abschlussfeier gekommen und hatte ihm auch keine Glückwunschkarte geschickt, als er zum Special Agent befördert worden war; doch als John zur Beerdigung seines Onkels nach Hause kam, hatte sein Vater ihm seine Zukunft aus dem Bodensatz einer Flasche Bier geweissagt.
Die ersten zehn Jahre saugen sie dich aus, die nächsten zehn Jahre machen sie dich restlos fertig, und sobald du ein graues Haar kriegst, lassen sie dich fallen. Das kannst du mir glauben, mein Sohn, und ich wünschte wirklich, du würdest auf mich hören …
«Agent Smith?»
John schrak hoch aus seiner Tagträumerei. Sie saßen alle um einen runden Tisch in dem großen Büro im zweiten Stock, und der lange Dürre hielt ihm einen Becher Kaffee hin.
«Oh. Herzlichen Dank. Hätten Sie vielleicht ein bisschen Zucker?»
Roadrunner trat einen Schritt zurück. «Geht’s Ihnen noch gut? Das ist Jamaika Blue Mountain. Probieren Sie erst mal.»
Agent Smith hatte keine Ahnung, was Jamaika Blue Mountain sein sollte, gehorchte aber und trank. Dann stellte er den Becher auf den Tisch und betrachtete die Flüssigkeit darin. «Meine Güte.»
Harleys massige Hand senkte sich auf seine Schulter. «Na, Agent Smith, zumindest haben Sie Geschmack. Das gibt ein paar Extrapunkte. Also dann. Wir haben heute früh was Interessantes aus dem Netz gezogen.»
«Noch einen Mord?»
«Schon möglich. Aber jetzt zeigen Sie uns erst mal Ihre Sachen, dann kriegen Sie unsere zu sehen. Also, was haben Sie für uns?»
Smith räumte seine Aktentasche aus. «Das sind die Videos der fünf Morde. Cleveland, Seattle, Austin, Chicago und Los Angeles.» Dann zog er einen dicken Ordner mit zahllosen Seiten aus den Tiefen der Ledertasche hervor. «Hier sind die detaillierten Aufzeichnungen über die vergeblichen Versuche unserer Cyberkriminalitäts-Abteilung, die Posts im Zusammenhang mit diesen Morden zurückzuverfolgen. Und das sind die verdächtigen Websites, die Sie für uns überwachen sollen.» Er legte einen weiteren Schnellhefter mit ausgedruckten Seiten dazu.
Annie zog den Hefter zu sich heran und blätterte darin. «Mein Gott, das sind ja Hunderte!»
Smith nickte. «Wir haben die Menge bereits beschränkt, so gut wir konnten. Hier sind nur solche Websites verzeichnet, die sich ausschließlich mit Mordszenarien befassen. Manche zeigen eindeutig amateurhafte und offensichtlich gestellte Vorfälle, bei anderen ist das strittig. Wir brauchen ein Programm, das die echten Verbrechen sofort erkennt, damit wir umgehend mit den Ermittlungen vor Ort beginnen können, ehe wichtige Beweismittel oder Zeugen verschwunden sind. Und jetzt zeigen Sie mir mal, was Sie heute früh gefunden haben.»
Roadrunner reichte ihm ein paar ausgedruckte Screenshots der fraglichen Website, die Smith mit ausdrucksloser Miene betrachtete. So etwas lernte man beim FBI. «Haben Sie dazu irgendetwas herausgefunden? Konnten Sie es zurückverfolgen?»
«Keine Chance», sagte Harley. «Wir haben das schon an Agent Shafer weitergegeben, damit er seine Leute darauf ansetzt, aber die werden da auch nicht weiterkommen. Dieses Post ist mit Überschallgeschwindigkeit um den Globus gerast. Im Moment schicken wir gerade ein paar Vergrößerungsprogramme über den Film, um zu sehen, ob es ein echter Mord ist oder nur Playback.»
«Was ohne einen konkreten Tatort aber auch nichts nützt. Und einen Tatort bekommen wir nur über einen Ortungsversuch.»
Annie legte den Kopf schief, und das kleine Lächeln, mit dem sie ihn ansah, verursachte ihm ein höchst merkwürdiges Gefühl im Bauch. «Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, Süßer. Oder waren es zehntausend?» Sie nahm den Schnellhefter mit den verdächtigen Websites an sich und stand auf. «Wollen Sie es sich hier gemütlich machen, oder sollen wir Ihnen einen eigenen Schreibtisch aufstellen?»
«Ich denke, für den Augenblick genügt mir dieser Tisch.» John Smith blieb einen Augenblick ruhig sitzen, sah zu, wie die anderen sich an ihre Rechner verteilten, und lauschte ihrem Geplänkel. Dann klappte er seinen Laptop auf, um den täglichen Bericht anzufangen. Als er ein schüchternes Scharren hörte, hob er den Blick vom Bildschirm und sah zu seinem großen Erstaunen einen erbarmungswürdig wirkenden, schwanzlosen Hund, der auf einen Stuhl auf der anderen Tischseite sprang und sich dort Smith gegenüber zurechtsetzte.
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