Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
und W. schenkte mir, da ich ziemlich mittellos war, seine gebrauchten Schläger, so daß wir zusammen spielen konnten. Es ging ihm überhaupt nicht ums Gewinnen, nur spielte er einfach besser, und ich konnte von ihm lernen, was ein Trainer ihn gelehrt hatte, und mehr als das: er lehrte mich zu verlieren, nicht um Punkte zu spielen, was unwichtig war für ihn, da er die Punkte machte,und hoffnungslos für mich. Ich genoß diese Stunden sehr. Wenn er mir melden mußte, der Platz sei heute zu naß, so war ich unglücklich. Ich träumte von W. Wenn ich ihn besuchte, kam das Dienstmädchen an die Türe, ließ mich höflich in der Halle warten, bis sie oben gefragt hatte, und dann hatte ich natürlich den Eindruck, daß ich störte, auch wenn W. mich nicht abwies. W. selber meldete sich fast nie; es wunderte ihn aber, wenn ich mich wochenlang nicht meldete. Er war ein herzlicher Freund, mein einziger Freund damals, denn neben W. war irgendein andrer kaum denkbar; er hätte vor W. nicht bestanden. Seine Eltern übrigens, bekümmert um ihren Sohn, waren immer sehr entgegenkommend; wenn W. fragte, ob es recht sei, daß ich noch zum Abendessen bleibe, waren sie immer einverstanden. Übrigens war es das erste reiche Haus, das ich kennengelernt habe; es war besser als andere, die ich später kennenlernte. Alles in allem fühlte ich mich beschenkt. Schwieriger war es, wenn ich W. beschenken wollte zum Geburtstag oder zu Weihnachten; meine Geschenke machten ihn verlegen, denn sein Geschmack war besser entwickelt, und selten ging es ohne Umtausch. Damals hatte ich meine erste Braut; sie konnte ich nicht umtauschen. Sie fürchtete W., glaube ich, sie mochte seine Überlegenheit nicht anerkennen, und das schmerzte mich. Das war vor vierzig Jahren. Ich fragte mich oft, was W. denn an mir habe. Wir wanderten viel, wir gingen schwimmen. Er hatte auch ein äußerst empfängliches Auge für Landschaften. Alles Technische in der Natur, Hochspannungsleitungen und dergleichen, beleidigte ihn geradezu körperlich. Durch ihn kam ich zu Caspar David Friedrich, zu Corot, später auch zu Picasso und zu afrikanischen Masken; dabei war er keineswegs lehrerhaft. Vieles was er wußte, verschwieg er. Ich hatte Griechenland durchwandert und erzählte natürlich davon, nur hatte ich dann das Gefühl, daß W. mehr gesehen haben würde. Dieses Gefühl, glaube ich, hatte er selber auch; er hörte mir zu, bis er mich dann doch unterbrechen mußte, indem er auf etwas Sehenswertes zeigte, was ich tatsächlich nicht gesehen hätte ohne ihn, etwas Gegenwärtiges, zum Beispiel einen erstaunlichen Falter. Er sah einfach mehr. Es gab nur eine Sache, wofür ich nie dankbar war: seine Anzüge, die für mich eine Nummer zu groß waren. Meine Mutter konnte zwar die Ärmel kürzen, die Hosen auch, trotzdem paßten sie mir nicht. Ich trug sie halt, um W. nicht zu kränken; er meinte es arglos, sah, daß ich mir keine Anzüge kaufen konnte, und der Stoff war immer noch tadellos, wenn er mir einen Mantel oder eine Jacke vermachte.Warum er das Zeug selber nicht mehr trug, ging mich ja nichts an. Er war alles andere als ein Geck, der mit der Mode gehen muß; seine Eltern hatten aber einen Schneider, der von Zeit zu Zeit ins Haus kam, glaube ich. Schließlich schenkte er mir auch anderes, was er nicht schon getragen hatte, Platten zum Beispiel, eine ganze Sinfonie. Er schenkte nie blindlings, wie etwa Neureiche es tun, nie unvernünftig und für meine Verhältnisse übertrieben. Wie wenig man als junger Reporter und Rezensent verdient, ahnte er, ohne daß ich je davon reden mußte. Er war sensibel genug, der Luxus im elterlichen Haus war ihm peinlich im Hinblick auf mich, zu Unrecht übrigens, denn ich identifizierte W. nie mit Luxus. In seinem Zimmer mit Aussicht auf Garten und Stadt und See erschien er mir eher wie ein Diogenes, unabhängig durch Geistigkeit. Er fuhr Straßenbahn wie unsereiner. Überhaupt wählte er nie den bequemen Weg, sondern war hart gegen sich selbst. Im Oktober, wenn das Wasser schon kalt ist, schwamm er über den See, hin und zurück. Später hat W. mir ein ganzes Studium bezahlt: 16 000 Franken (was damals mehr wert war als heute) für vier Jahre; also 4000 Franken im Jahr. Eigentlich tut es mir leid, daß ich die Anzüge überhaupt erwähnt habe. Es verdroß mich nicht, wenn er plötzlich, mitten in einem Gespräch, seine eigene Jacke wiedererkannte und feststellte, daß die englischen Stoffe sich eben tadellos halten und daß es doch schade
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