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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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sind nicht immer freundlich; nur lassen sie sich in ihrer Erwartung nicht irritieren, wenn jemand sich gelegentlich unter seinem Rang verhält. Die Selbstzweifel, die ihnen vorgetragen werden, nehmen sie ernst, doch fallen sie nicht auf Selbstbezichtigung herein wie die andern, die, sobald sie nicht mit Allüre überrannt werden, ihre Erwartung unwillkürlich herabsetzen und gnädig werden in einer Art, die alles eine Nummer zu klein nimmt, aber auch alles.
     
    ERYNNIEN
     
    sie zerreißen dich nicht, sie stehen nur an irgendeiner Ecke: Hier oben, im dritten Stock, hast du einmal gewohnt, WAVERLY PLACE/CHRISTOPHER STREET , vor dreiundzwanzig Jahren. Als wüßte ich’s nicht! Ich blicke nicht einmal an die Fassade hinauf, sehe bloß, daß im Parterre ein andrer Laden ist; damals ein Lebensmittelgeschäft, ein lausiges, ich verfügte über 200 Dollar im Monat, die Wohnung kostete 100 Dollar im Monat, einmal fiel mir ein Blumentopf vom Fenstersims und traf niemanden.
     
    Wo werden die Erynnien mich packen?
     
    Neuerdings haben wir ein Kennwort dafür: Anfälle. Jedesmal ein Schrecken für sie, ich weiß, und vollkommen unverständlich. Dabei kommt es zu keiner körperlichen Bedrohung des Partners; sie irrt sich, wenn sie das fürchtet; nicht die mindeste Versuchung dazu. Wenn Tätlichkeit, dann wäre es Tätlichkeit gegen mich selbst: um mich auszudrücken. Ich meine zu verstehen, zu denken, zu erkennen; das allerdings ohne Rücksicht, im Beginn fast gelassen, ohne Rücksicht auf mich oder irgendwen. Ich schreie nicht, im Beginn jedenfalls nicht; allerdings werde ich dann unansprechbar, auch wenn ich eine Weile lang zuhöre. Die Wahrheit, die ich auszudrücken versuche, die ich in diesem Augenblick erkenne, ist selten ein Freispruchfür mich. Es kann von Lappalien ausgehen; geradezu lächerlich, eine solche Lappalie überhaupt zu erwähnen. Ich sehe sie als Zeichen, daher nicht als Lappalie; als Zeichen so eindeutig für mich, daß ich jede andere Auslegung kaum ertrage, eine harmlose schon gar nicht. Keine Vorwürfe, nein, ich rede nur von Erkenntnissen. So kommt es mir vor. Im Augenblick ohne jede Angst vor den Konsequenzen, die ich sehe. Meine Rede (Monolog) hat etwas Hinrichtendes; nicht aus Haß. Was soll der Partner? Er soll verstehen, was ich nicht auszudrücken vermag; er soll einverstanden sein. Ich ertrage mich nicht. Ich kann dann nicht aufwachen, wie man aus Träumen, wenn sie unerträglich sind, aufwachen kann. Wie ich’s in diesem Augenblick sehe, so ist es eben, wirklich und so und nicht anders, und ich fühle mich bereit. Wozu? Dann wiederhole ich mich, ich weiß. Kein Zurück in die Vernunft; die Vernünftigkeit verletzt mich, sie erniedrigt mich, sie entfesselt auch noch den Zorn. Dabei habe ich so gelassen begonnen; was ich gemeint habe, ist kein Vorwurf, es ist wichtiger: WAHRHEIT , meine. Wenn ich mir das Hemd zerreiße, so meine ich meine Haut. Ich bitte; offenbar tönt es ganz anders; ich flehe. Dabei ist alles, was ich jetzt sage, nur noch verletzend. Es fällt mir anders nicht ein. In diesem Augenblick möchte ich sterben dafür, daß ich mich ein Mal verständlich machen könnte, ohne Forderung. Nachher finde ich es schade um meinen Zorn; nie hat er den Gordischen Knoten getroffen – ich habe mich auch noch zu entschuldigen.
     
    SWEET’S
     
    es sei das älteste Fisch-Restaurant in der Stadt. Ein Schuppen am alten Markt, abbruchreif seit Jahren. Wer nicht davon gehört hat, würde hier nie eintreten. Über Mittag bekommt man kaum einen Tisch, dann speisen hier die Tätigen aus der WALL STREET . Seit ich das Restaurant kenne, habe ich schon viele Freunde dahin geführt. Es gibt hier, zu Fischgerichten aller Art, einen amerikanischen Sauternes, der erstklassig ist, und man sieht unter der Hochstraße hindurch das Glitzern, EAST RIVER . Auch Lynn hat es bisher nicht gekannt. Es gefällt ihr; es ist gar nicht schick hier. Sie hat wieder ein Interview vermittelt; ihr Job. Ihr offenes Haar und die Brille: Undine und ein wenig Nurse. Im Sommer wird sie mit ihren Eltern nach Griechenland fahren, mein guter Rat erübrigt sich; GUIDED TOUR . Da Lynn nichts gelesen hat, was ich veröffentlicht habe, genieße ich es, einmallauter Gegenteil zu reden: – Politik kümmert mich überhaupt nicht. Verantwortung des Schriftstellers gegenüber der Gesellschaft und das ganze Gerede, die Wahrheit ist, daß ich schreibe, um mich auszudrücken. Ich schreibe für mich. Die Gesellschaft, welche auch immer, ist

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