Moonshadow - Das Schwert des grauen Lichts
Moonshadow sank auf ein Knie.
Eagle gab ihm ein Zeichen aufzustehen. »Sag mir eins: Wenn deine Wahl von Staub verschleiert ist, welche Stimme wird dich dann leiten? Wie ich schon sagte, jeder deiner Lehrer hat dich je nach seinem oder ihrem Blick auf die Welt beeinflusst. Aber wessen Stimme wird dich leiten, wenn Chaos herrscht?« Eagle beobachtete ihn genau. »Denk darüber nach, während ich dir ein persönliches Geheimnis erzähle.«
Moonshadow hörte aufmerksam zu. Er war nicht nur sofort neugierig - Bruder Eagle sprach nie über sich selbst -, sondern auch froh, dass er Zeit hatte nachzudenken. War diese merkwürdige Frage noch ein raffinierter Teil seines letzten Tests? Vielleicht. Er durfte sich also nicht irren.
»Ich konnte nicht von Ge burt an durch die Au gen eines Tieres blicken«, sagte Eagle. »Ich wurde als Samurai erzogen, ohne viel Kenntnis der alten Schattenkünste.«
Moon stellte keine Fragen, denn er spürte die drückende Schwere von Eagles Geheimnis.
»Als junger Krieger wurde ich auserwählt, als Yojimbo zu dienen, als Leibwächter in einer Eskorte des rücksichtslosen - und unpopulären - Lord Yabu, wenn er auf Reisen war. Er war ein bru taler Mann, der seine Bauern grausam behandelte. Er hatte sich auch unter den Edlen Feinde gemacht. Hoch auf einer einsamen Gebirgskette wurde unsere auffällige Prozession von gedungenen Mördern des Iga-Schattenclans angegriffen. Wie es unsere Pflicht war, kämpften wir hart, aber Lord Yabu und sein ganzes Gefolge verschwanden an diesem Tag … bis auf einen jungen Mann, den die Iga als Gefangenen nahmen.«
»Das warst du, Meister.« Moon starrte ihn an.
Eagle nickte. »Sie hielten mich in einem Wald hinter Palisaden gefangen und hofften, alles über die Verbündeten von Yabu zu erfahren, aber … trotz ihrer wenig freundlichen Bemühungen … sagte ich ihnen nichts. Nach einer Weile spürte ich sogar ihre Bewunderung. Natürlich war ich daran gescheitert,
meinen Lord und Lehnsherrn zu schützen - ungeachtet seines Charakters, und ich sehnte mich danach zu sterben. Dann wurden eines Nachts die Iga selbst angegriffen, und zwar von Mächten des ältesten Schattenclans, den Fuma. In dem entstehenden Chaos schnappte ich mir ein Schwert. Meine Ausbildung als Samurai hieß mich, die Iga, die mich gefangen hielten, niederzustrecken. Stattdessen schenkte ich ihnen das Leben. Danach standen sie in meiner Schuld. So unerwartet! Aber es war Schicksal!«
Der Junge sah, wie Eagles Blick weit zurück in die Vergangenheit glitt. »Und dann haben sie dich gehen lassen?«
Sein Lehrer lächelte traurig. »Es gab kei nen Ort, an den ich gehen konnte. Während meiner Gefangenschaft hatte ich erfahren, dass mein gan zer Clan auf dem Schlachtfeld untergegangen war, verraten von den Verbündeten Yabus, genau den Männern, die zu beschützen ich all diese Torturen auf mich genommen hatte. Mein Leben als Sa murai war vorüber. Also lebte ich weiter unter den Iga, wurde einer von ihnen und lernte sogar ihre älteste Fähigkeit, die ich jetzt an dich weitergegeben habe. Zur rechten Zeit brachte mich eine Mission zum Abt des Ordens vom Grau en Licht. Er lag im Ster ben, und zu meinem Erstaunen bat er den Sho gun, mich an seine Stelle treten zu lassen. Auch das war unerwartet, aber im Nachhinein Schicksal.«
»Also ist al les gut gworden, beide Male«, Moonshadow sah zu ihm auf, »denn egal, was dir zustieß,
du hast auf dich selbst gehört. Du bist deinem Instinkt gefolgt.«
»Eine gute Antwort.« Eagle klopfte ihm auf die Schulter. »Denk da ran, wenn du da drau ßen bist.« Mit seinem glänzenden Kopf deutete er auf die Welt hinter den Mauern.
In der Ferne jaulte ein einsamer Hund.
ZWEI
DIE TEETASSE UND DER BRUNNEN
Moonshadow erwachte eine Stunde nach Sonnenuntergang. Er setzte sich auf seine Fersen, die Beine unter sich auf der Bett matte verschränkt, rieb sich die Augen und musterte die graubraunen Wände seines winzigen Zimmers. Der Test vor der Morgendämmerug hatte ihn ermüdet, obwohl es, so dachte er, vielmehr die schlaflosen Nächte davor gewesen waren, die ihn so erschöpft hatten.
Drei Nächte hatte er vom Mitternachtsläuten der Tempelglocke bis zum Morgengrauen auf seinem Rücken gelegen, die Decke angestarrt und sich gefragt, worin sein Test bestehen und ob er ihn meistern wür de. Nachdem er nun endlich hinter ihm lag, war er Bruder Eagles letztem Befehl nur zu gerne gefolgt: Kehr in dein Zim mer zurück. Ruh dich eine gan ze Nacht und ei nen gan zen
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