Moonshadow - Das Schwert des grauen Lichts
sie die Wissenschaft des Alten Landes beherrsche, die man In nensicht nannte. Diejenigen, die die Gabe der Innensicht hatten, konnten die wahre Natur eines Wildfremden erkennen oder einen Blick auf sein künftiges Schicksal werfen. War sie
der wahre Grund gewesen, warum man ihn aus erwählt hatte?
Hinter der Tür brach te Eag le ge reizt sei ne Missstimmung zum Ausdruck. »Mein zweiter Grund? Ich sage, er wird nicht scheitern, weil er nicht scheitern darf. So viele schreckliche Missionen erwarten unsere Agenten jetzt. Diese war, wie du weißt, nie für ihn bestimmt. Sie verlangte nach einem Gesicht, das unsere Feinde nicht erkennen würden, das ja, aber jemand Abgehärtetes sollte sie übernehmen. Moon sollte zuerst eine leichtere Aufgabe angehen. Aber du weißt auch, dass unsere ursprüngliche Wahl nun schwer verwundet darniederliegt und nach den letzten Berichten vielleicht die nächste Woche nicht überlebt. Unsere Not ist übergroß, und wenn al les, was die Weiße Non ne über ihn gesagt hat, sich als wahr erweist …«
»Du bist Herr unseres Ordens und stehst meinem Herzen sehr nahe«, sagte Heron langsam. »Aber bitte achte meine Warnung. Ihn auf diese Mission zu schicken, so unerfahren in allen Dingen außer den Schattenkräften, ist, wie eine Teetasse auf den Rand eines Brunnens zu stellen.«
Eagle schnaubte. »Dann ist alles, was wir tun können, hof fen, dass …« Er verstummte plötz lich. Moonshadow hörte das Rascheln von Gewändern, drehte sich schnell um und schlich sich leise wieder in sein Zimmer. Als er die Tür zuschob, öffnete sich die Küchentür.
»War er das?«, hörte Moonshadow Heron flüstern. »Wie kommt es, dass wir ihn nicht gehört haben?
Waren wir so abgelenkt durch unseren kleinen Streit?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass er gut ist«, murmelte Eagle. »Wie vie le können uns schon ausspionieren? Siehst du? Er ist bereit.«
DREI
NEUE GESICHTER AUF DEM PFIRSICHBERG
Silberwolf schritt in seinem leeren Audienzzimmer auf und ab. Sei ne Hände auf dem Rücken verschränkt, grummelte der Kriegsherr mit hängendem Kopf vor sich hin und schmiedete laut seine Pläne.
Sein neues Team würde jeden Moment hier sein. Eine Vielfalt an Spezialisten. Aber würden sie auch zusammenarbeiten können? Es war eine merkwürdige Mischung. Würden manche sich schließlich gegenseitig bekämpfen, noch bevor sie überhaupt auf den Feind stießen? Die Operation wurde außerdem immer kostspieliger. Ein gewisser Gefolgsmann würde ihn mehr kosten als all die anderen zusammen ….
Silberwolf blieb stehen und drehte sich zu der doppelten Schiebetür um.
Durch das breite Fenster am gegenüberliegenden Ende des langen Raums drang Licht herein und man hörte unten aus dem Schlosshof das scharfe Klicken der Bokken, der hölzernen Übungsschwerter.
Neben dem Fenster hing Silberwolfs Schlachtrüstung auf einem T-förmigen Holzgestell. In einem breiten, niedrigen Regal waren seine beiden Lieblingsschwerter untergebracht.
Drei Schritte links von der Rüstung war eine dicke Planke aus weißem Holz zwischen die Strohmatte und den Fenstersims an die Wand gestützt.
Er blickte auf die lederne Kriegsmaske seiner Rüstung, deren furchterregendes Gesicht zu ei nem dauernden Zähnefletschen verzerrt war. Ein Teil des Brustpanzers war wie entblößte Rippen geformt. Gefärbtes Leder spannte sich über Kup fereinlagen. So ausgearbeitet, stark und flexibel wie sei ne Rüstung war, war sie in diesen Tagen aber nicht mehr als ein Kunstwerk, das Besucher beeindrucken sollte. Silberwolf schnaubte bitter.
In den letzten Monaten des lan gen Bürgerkriegs, als die stärksten Lords um die Herrschaft Japans gekämpft hatten, hatte er seinen noblen Vorfahren alle Ehre gemacht und sich im Kampf furchtlos gezeigt. Indem er seine Männer unter dem Tokugawa-Banner angeführt hatte, hatte Silberwolf die aufstrebenden Feinde des Shogun niedergewalzt und ihm damit die Macht über das ganze Land verschafft. Und was war seine Belohnung gewesen? Ganz sicher nicht die, die ihm versprochen worden war und die ihn veranlasst hatte, so wagemutig zu kämpfen.
Der künftige Shogun hatte sich verpflichtet, dass, sollte das Land erst unter seiner Herrschaft geeint sein, Silberwolf eine Invasion der koreanischen Halbinsel leiten würde. Als geachtetster Feldherr des Shoguns würde er das Reich vergrößern und den Namen seines Clans in die großen Steine fremder Burgen einritzen, wo er für im mer als Eroberer erinnert würde. Was für eine
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