Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Allerdings griff Bruno dann vor allem auf flüssige Nahrung zurück. Seine Kondition war meisterlich. Kai hatte das Notebook und Bruno sein Handy mitgenommen, für den Fall, dass sich Robert aus dem Berliner Gefechtsstand meldete.
Es war kurz nach halb zwölf, und Kai merkte, wie ihm die Kräfte zu schwinden begannen. Bruno dagegen, bis auf den roten, ungesund glühenden Kopf, der aus dem KEMP-DEVIED -Hemd ragte, wirkte noch recht fit.
»Und Sie?«, hakte Frau Schmidt-Balldruscheidt nach, weil Bruno nicht im Geringsten auf ihre Ansprache einging. Wie schon vorhin starrte er auf die Fotos. Abwesend fast.
»Ich möchte ja nicht kritisieren«, sprang Kai an seiner Stelle ein, obwohl er sich für jegliche Konversation viel zu müde fühlte, »aber finden Sie nicht, Frau Schmidt-Balldruscheidt, dass die Pose des denkenden Schriftstellers etwas überstrapaziert ist. Immer diese Hände an der Stirn oder am Kinn.«
»Die Künstler stellen uns grundsätzlich ein Porträt ihrer Wahl zur Verfügung. Wir bitten nur darum, dass es nach Möglichkeit schwarz-weiß ist. Ich kann doch auch nichts dafür, wenn sie mir Fotos mit Posen schicken, die Sie, lieber Herr van Harm, nicht leiden können«, sagte die Kulturscheunenleiterin in pikiertem Tonfall und fügte an: »Sie sind übrigens der Einzige, der sich bis jetzt darüber beschwert hat.«
»Tut mir leid«, sagte Kai, »ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten. Aber schauen Sie mal, dann auch noch überall diese Bücherwände im Hintergrund oder diese Grünpflanzen. Oder diese idyllischen Gartenansichten. Oder hier: dieser Schreibtisch mit einer Blumenvase darauf und einer Schale Äpfel neben dem Bleistift und dem Radiergummi. Ich bitte Sie, bei wem liegen denn Äpfel auf dem Schreibtisch? Wer schreibt denn heutzutage mit Bleistift und korrigiert mit einem Radiergummi. Da wird einem ja schlecht,« vermochte Kai seinen Unmut nicht mehr zu zügeln.
»Ick stelle mir grad vor, wie das da in Rosa aussehen würde«, sagte Bruno und zeigte auf eines der Fotos. Frau Schmidt-Balldruscheidt aber hatte während Kais letzten Worten die Arme vor der Brust verschränkt und sah nun gekränkt in die entgegengesetzte Richtung.
Kai wollte schon eine Entschuldigung erfinden, doch da klingelte glücklicherweise Brunos Handy.
»Am Apparat«, sagte Bruno. Er hörte eine Weile zu, was der Teilnehmer am anderen Ende zu sagen hatte, und beendete nach nicht mal einer Minute das Gespräch mit einem knappen: »Bleib auf dem Posten!«
»Was Wichtiges?« Frau Schmidt-Balldruscheidt war durch Brunos ernste Miene neugierig geworden.
»Nur einen Moment, liebe Frau Schmidt- äh …«
»Balldruscheidt«, ergänzte die Angesprochene.
»Genau«, sagte Bruno, »ick muss nur eine Sache mit Herrn van Harm klären und bin dann gleich wieder bei Ihnen. Ick hab nämlich noch ein paar Fragen zu Ihre wunderschöne Fotosammlung.«
»Meine Ahnengalerie , wie ich sie gern nenne«, sagte die Leiterin der Kulturscheune und schien fürs Erste wieder besänftigt.
»Wir haben Peggys Wagen«, sagte Bruno zu Kai, nachdem sie sich in eine ruhige Ecke zurückgezogen hatten. »Mach mal den Rechner an, du hast ’ne E-Mail.«
Kai tat wie ihm geheißen und fand in seinem Postfach tatsächlich eine Mail vor, die von einer der anonymen Einweg-E-Mail-Adressen gekommen war, die man sich im Internet besorgen konnte, wenn man sich unerkannt irgendwo registrieren wollte. Oder jemanden belästigen. Die Mail enthielt nichts weiter als einen Link. Als Kai ihn anklickte, öffnete sich Google-Earth und zeigte erst die Weltkugel und zoomte sich dann an Europa und anschließend an Deutschland heran. Kai erkannte Berlin, das im Norden zurückblieb. Jüterbog tauchte auf und Wiepershof, und dann blieb das Bild plötzlich stehen. In seiner Mitte befand sich ein gelbes Fadenkreuz. Unter dem Kreuz sah man jetzt einen Feldweg, gleich daneben einige graue Gebäude, vielleicht eine kleine Fabrik oder eine Stallanlage.
»Bingo«, sagte Bruno, während Kai mit dem Pfadwerkzeug die Entfernung maß. Peggys Corsa befand sich keine sieben Kilometer entfernt von der Kulturscheune auf einem Feldweg. Die nächstgelegene Siedlung hieß Deinsdorf und begann knapp fünfhundert Meter weiter.
Kai van Harm wurde mit einem Mal so übel, dass er schon den sauren Mageninhalt im Hals hochsteigen spürte. Denn seine Hoffnung, Peggy könne auf dem Weg zu ihrer Familie sein, hatte sich mit der E-Mail zerschlagen.
»Jetzt is Tempo gefragt«, sagte Bruno und hatte schon
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