Moskito
gehäkeltem oder sonstigem Krimskrams in Sicht.
»Danke«, sagte Judy. »Ich sandte dir vorhin eine eMail, in der ich dich bat, nicht anzurufen.«
»Ich weiß. Ich habe es gelesen. Aber ich rufe nicht an; ich bin hier. Kann ich reinkommen?«
»Lieber nicht. Ich habe einen großen wissenschaftlichen Artikel fertigzustellen, und der Termin steht vor der Tür.«
»Ich bleibe nicht lang.«
»Du bleibst überhaupt nicht. Wir haben einander nichts mehr zu sagen, Robert.«
»Stimmt nicht«, widersprach er. »Ich habe was zu sagen.«
Sie musterte ihn eingehend. »Du siehst anders aus, Robert. Mehr … ich weiß nicht. Eben irgendwie anders.«
»Gut. Denn was ich zu sagen habe, ist auch etwas anderes. Judy, willst du mich heiraten?«
Sie wurde weiß und dann rot. Aber das Farbenspiel dauerte nur einen Moment lang. Danach sagte sie gelassen: »Mußt du zur Arbeit keine Krawatte mehr tragen, Robert?«
»Doch. Willst du mich heiraten?«
»Nein.«
Trotz seines Schocks – es war immer sie gewesen, die gedrängt, und er, der sich geweigert hatte – glotzte er sie nicht mit offenem Maul an. Er stieg von einem Fuß auf den anderen und pflanzte sich nachhaltiger auf ihre Schwelle. Dennoch mußte seine Verblüffung deutlich sichtbar sein, denn Judy lächelte leicht.
»Das überrascht dich, wie? Tut mir leid, Robert. Es ist nicht, daß ich dich nicht … trotzdem …« Die Stimme versagte ihr, und er machte einen hoffnungsvollen Schritt vorwärts. Aber sie hielt warnend die Hand hoch. »Nein. Laß es. Du verstehst mich nicht, Robert. Ich muß meinem Ehemann vertrauen können. Muß darauf vertrauen können, daß er nicht plötzlich verschwindet, daß er mir nicht untreu wird und daß er mich nicht ganz allgemein so behandelt wie einen Klammeraffen um seinen Hals. Das alles hatte ich schon mit Ben, und das brauche ich nicht mehr. Du bist einfach nicht vertrauenswürdig. Du tauchst auf, verschwindest, du ziehst zu deiner Exfrau und du kommst wieder, wann es dir paßt. Nein. Nein! Ich will das nicht. Tut mir leid.«
Sie schloß die Tür.
Robert klopfte wieder. Nichts geschah. Durch die Metalltür rief er: »Judy, bitte mach auf! Ich muß dir noch etwas sagen! Bitte mach auf!«
»Nein.«
»Dann sage ich es durch die Tür.« Er hielt inne, um zu überlegen, um es richtig zu sagen. »Ich habe einen großen Fehler gemacht, als ich wegging von dir. Ich wollte mich einfach nicht …« Wie lautete doch das Wort, das die Herz-Schmerz-Berater im Radio immer verwendeten? ›Binden‹! Aber das wollte Cavanaugh nicht verwenden; Judy verdiente etwas Besseres als Populärpsychologie aus dem Radio! »… nicht entscheiden müssen. Aber ich entscheide mich jetzt.« Auf der Grundlage unvollständiger Beweise, mit berechtigten Zweifeln und ohne jede Garantie, wie die Zukunft aussehen wird. »Ich entscheide mich für ein Leben mit dir!«
Dumpfe, unverständliche Worte hinter der Tür. Flüche? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
»Ich will dich heiraten, Judy! Bitte mach auf!«
Er wartete. Die Tür ging nicht auf. Aber dahinter sagte sie: »Oh, verdammt, Robert …«
»Willst du mich heiraten?«
»Nein. Ich weiß nicht. Ich kann es nicht glauben, daß du mich jetzt fragst! Vielleicht.«
Robert holte tief Atem. Von einem Vielleicht war es nie weit bis zu einem Ja. Nicht, wenn man nicht lockerließ.
»Ich gehe jetzt, Judy. Aber ich komme nach der Arbeit wieder. Okay?«
»Welche Zeit?«
Er rechnete rasch nach. »Halb sieben. Du kannst dich drauf verlassen, Liebes!«
Keine Antwort. Aber es war okay. Sie würde da sein.
Cavanaugh fuhr zurück zur Dienststelle des FBI in Baltimore, um sich an die Arbeit zu machen.
EPILOG
Sechs Monate später
Müde wankte Melanie aus der nigerianischen Notklinik, der üblichen Mesalliance zwischen Polyester-Zelt und Holzhütte, und ging zum Fluß, der hier abrupt zu einem Wasserfall wurde. Die Luft darüber war kühl und sauber und hatte den frischen, lebendigen Duft nach Wasser. Melanie sog sie in tiefen, langen Atemzügen ein und massierte sich den Nacken.
Lassa-Fieber. Am Beginn einer Epidemie – und so weit weg von selbst der mickrigsten Stadt –, da vergaß man das Protokoll, da taten alle alles, was nötig war, um sie zu bekämpfen. Und Melanie hatte den ganzen Tag lang Patienten hin und her getragen.
Ein kleiner nigerianischer Junge rannte auf sie zu. »Miss! Miss!« rief er und sonnte sich in seinen Englischkenntnissen, die einen deutlich britischen Akzent trugen, »Miss, da
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