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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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PROLOG
     
     
     
     
    Der grüne Chevrolet Lumina raste durch die Dunkelheit. Eine ganze Weile sprachen die beiden Männer kein Wort, dann gähnte der Fahrer, und sein Begleiter sagte: »Müde?«
    »Es ist drei Uhr morgens, zum Geier.«
    »Tja.«
    »Na, wenigstens sind wir schon fast in Virginia. Ein paar Kilometer noch, dann kommen wir zur Brücke.«
    »Ziemlich dichter Wald, das.«
    »Der Arsch von nirgendwo.«
    Der Beifahrer sagte nichts darauf. Er starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe. Die Scheinwerfer des Wagens schnitten einen schmalen hellen Pfad die Straße entlang, die ihrerseits wie eine klaffende graue Wunde die schwarze Silhouette aus Eichen, Hickory und Kiefern spaltete. Der Fahrer streckte die Hand nach dem Radio aus, warf einen Seitenblick auf den anderen Mann und zog die Hand wieder zurück. Ein Wagen – der erste seit vielen Minuten – näherte sich aus der Gegenrichtung, und beide Fahrer blendeten die Scheinwerfer ab.
    Der riesige Rehbock mit dem prachtvollen Gehörn stürmte so blitzartig aus dem Wald und auf die Straße, daß er plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht direkt vor dem Lumina zu materialisieren schien. Der Fahrer schrie: »Verdammte Scheiße!« und verriß das Lenkrad nach links – vergeblich. Der Lumina knallte gegen den Bock und schleuderte ihn nach links auf den schmalen grasbewachsenen Mittelstreifen. Während er seitwärts ausbrach, drehte sich der Lumina neunzig Grad um seine eigene Achse und krachte mit dem Heck in einen Hickorybaum am Waldrand. Mit einem metallischen Kreischen klappte der Kofferraumdeckel auf, das Heck wurde zusammengedrückt und der Rücksitz schoß ruckartig nach vorn. Der Lumina erzitterte ein letztes Mal und kam mit dem Heck am Stamm des Hickorybaumes zum Stillstand; der Motor starb ab, aber die Scheinwerfer brannten immer noch.
    Das Gesicht des Fahrers war so weiß wie der Mond. »Alles okay?«
    »Ja. Und bei Ihnen? Oh, verdammt, die Einheimischen!«
    Der zweite Wagen hatte mit quietschenden Bremsen angehalten. Ein Mann sprang heraus und rannte auf den Unfallwagen zu. Im Strahl der Scheinwerfer des Lumina konnte man deutlich die Uniform eines Hilfssheriffs erkennen.
    »Ist jemand verletzt? Seid ihr in Ordnung, Leute?« Seine Stimme klang jung und aufgeregt.
    »Uns ist nichts passiert«, rief der Fahrer. Seinem Begleiter warf er einen Blick zu, der sagte: Scheiße! Scheiße! Scheiße! Der Beifahrer versuchte, seine Tür zu öffnen, aber sie hatte sich zu stark verzogen, als das Heck des Wagens nach vorn gedrückt worden war. Schließlich kletterte er umständlich über den Schalthebel und folgte dem Fahrer durch die linke Tür ins Freie.
    Zu diesem Zeitpunkt stand der Fahrer bereits mit dem Hilfssheriff vor dem Wagen – möglichst weit weg vom Kofferraum. Der Beifahrer schlenderte nach hinten und warf einen kurzen Blick hinein. Der Metallbehälter war genauso zusammengequetscht wie das übrige Heck des Wagens; er war kein Behälter mehr: er war leer.
    »Kann ich Führerschein und Zulassungspapiere sehen?« sagte der Hilfssheriff.
    Der Beifahrer kehrte zur Front des Wagens und zum Fahrer zurück, damit sie gemeinsam mit dem Hilfssheriff sprechen konnten. Damit sie ihm klarmachen konnten, was wirklich geschehen war. Wie sich die ganze dumme Sache zugetragen hatte.
    Und die Geschichte sollte verdammt gut klingen.
     
     
    28. MAI
     
    »… und nun, meine Damen und Herren«, schloß die Vorsitzende des lokalen Unterstützungskomitees mit ihrem starken Brookliner Akzent, »begrüßen Sie zusammen mit mir den Senator der Vereinigten Staaten Malcolm Peter Reading aus Pennsylvania!«
    Gar nicht schlecht, dachte Larson, als er zusah, wie der Senator die Treppe zum Podium des Vortragssaales hochstieg. Es war eine ziemlich kurze Einführungsrede gewesen, würdig, aber nicht steif, und keine Spur von all diesem fühlen wir uns stolz und geehrt, Ihnen den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten vorstellen zu dürfen, in der aufdringlichen, übertrieben zuversichtlichen Art manch anderer Anhänger. Das hätte sich auch nicht gut gemacht, nicht in diesem speziellen Abschnitt von Manhattan. Zu verfrüht. Larson hatte ein Ohr für solche Dinge.
    Aber eigentlich, dachte er, als er miterlebte, mit welchem Schwung Reading seine Rede anging – eigentlich machte es wohl gar keinen Unterschied. Verdammt, Reading war wirklich gut! Der Kandidat stand auf den Holzbrettern der Schulbühne, unter dieser ausgebleichten Schulflagge, als wäre es das Oval

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