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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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entgegen.
    Swieten kam die Treppe herunter, nahm drei Stufen auf einmal. Am Tor holte er die Kutsche ein, als der Verkehr auf der Herrengasse sie zum Stillstand brachte.
    Er legte seine Hände ans Gehäuse der Kutsche. Wieder hörte ich die Arie, die ich für ihn in der Bibliothek gesungen hatte. Diesmal waren die Streicher und der Sopran im Einklang. Ich sah, dass auch er sie hörte. Er lächelte mir zu, obwohl sein Kinn zitterte.
    Die Kutsche bog auf die Straße ein. Mit einem Peitschenknall trugen mich die Pferde vom Baron fort. Ich lehnte mich aus dem Fenster. Der Baron verschwand in Nebel und Verkehr. Er wurde so unsichtbar, als wäre er zusammen mit Pergens Opfern eingekerkert worden.
    Nach einer halben Stunde befand sich meine Kutsche in freier Landschaft und fuhr durch den Nebel, der Wien für immer in Schweigen hüllte.

Epilog

    Ich las die ganze Nacht. Am Morgen fieberte ich vor Erregung. Ich eilte den Berg hinab zu Tante Nannerls Haus. Das Journal, das sie mir gegeben hatte und in dem sie die Ereignisse jener Woche im Jahr 1791 aufgezeichnet hatte, trug ich bei mir. Die nach fast vierzig Jahren erstmals enthüllten Geheimnisse waren so außergewöhnlich, dass ich ihr Gewicht in meinen Händen spüren musste. Sonst hätte ich sie vielleicht für einen Traum gehalten.
    Ich ging durch die engen Gassen am Berghang, überquerte den Domplatz und eilte die Treppen zu Tante Nannerls Wohnung hinauf.
    Ihr Dienstmädchen öffnete die Tür. Sie hielt sich ein Taschentuch unter die Augen. «Herr Wolfgang, ich bin froh, dass Sie da sind. Der Herrgott schickt sie.» Erst als Franziska sich die Tränen abgewischt hatte, bemerkte sie meine eigene Aufregung. Sie zögerte.
    «Was ist denn, Mädchen?»
    «Sie hatte eine schreckliche Nacht, mein Herr. Sie ist sehr schwach.» Sie schluchzte. «Ich glaube, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Sie will nicht, dass ich einen Arzt rufe. Aber sie hat nach Ihnen gefragt.»
    Ich ging ins Schlafzimmer. Tante Nannerl lag noch immer so da, wie ich sie verlassen hatte. Unter ihrer Haube war das Gesicht so weiß, als sei es mit Mehl bestäubt worden. Ihre dünne Hand lag auf dem Schal.
    Ich setzte mich zu ihr und berührte sanft ihre Schulter.
    Sie wandte mir das Gesicht zu. «Wolfgang», flüsterte sie.
    «Ich bin hier, Tantchen.»
    Ihre blinden Augen waren milchiger denn je. «Hast du es gelesen? Weißt du es jetzt?»
    «Ich kann es gar nicht glauben, Tantchen.»
    Sie schniefte. «Glaubst du, dass man so etwas erfinden kann?»
    «Warum hast du mir nie davon erzählt?»
    Sie schürzte die Lippen – die Pause, die jemand macht, dem es bereits schwerfällt, sich aufs bloße Atmen zu konzentrieren. Das Mädchen mag recht haben, dachte ich. Tante Nannerl schien dem Ende nah.
    Ich berührte ihr Handgelenk. Die Haut war kalt. «Wolltest du meine Mutter schützen? Hast du es deshalb niemandem erzählt?», sagte ich. «Du wolltest nicht, dass Mama leidet, wenn sie die Wahrheit erführe, auf welche Weise ihr der Mann genommen worden war?»
    Ihre blassen Augenbrauen senkten sich zu einer Grimasse.
    «Streng dich nicht an, Tantchen. Ich verstehe. Mama wird es nie erfahren.»
    Sie nickte in Richtung des Klaviers.
    «Soll ich für dich spielen?» Ich sprach lauter, als redete ich mit einem Kind oder einer Ausländerin.
    Mit einer matten Handbewegung winkte sie mich näher heran. Ich beugte mich über sie. Ihr Atem roch bitter und metallisch wie eine Kaffeekanne, die einen Tag lang nicht abgespült worden war.
    «Ich möchte dir erklären», murmelte sie.
    «Deshalb hast du mir das Tagebuch gegeben?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Sing es mir vor.»
    Die Arie war für einen Sopran, aber jetzt war kaum die Zeit, um mit meiner Tante über musikalische Formalitäten zu streiten.
    Ich legte das Journal auf die Bettkante und setzte mich an den alten Stein. In Gedanken formulierte ich den Brief, den ich heute zu ihrem einzigen noch lebenden Kind Leopold nach Innsbruck schicken musste, um ihn dringend aufzufordern, von ihr Abschied zu nehmen. Lautlos fand ich die richtige Tonlage für meine Stimme. Ich spielte die Einleitung, transponierte den Orchesterpart direkt für Klavier und sang.
    «Ich möchte Dir erklären, O Gott,
    welcher Kummer mich quält.
    Doch das Schicksal verdammt mich
    zu Tränen und Schweigen.»
    Meine Tante hatte den Kopf zur Seite gelegt. Sie blickte zum Fenster. Ich fragte mich, ob sie trotz ihrer Blindheit Spuren der hellen Morgensonne, die von den Domtürmen schien, vielleicht als

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