Mr. Fire und ich, Band 6 (German Edition)
können Sie nicht wissen, wie sie vorher war: Durch ihre bloße Anwesenheit brachte Ihre Mutter diesen Ort und jeden anderen zum Strahlen. Jeder kannte hier ihr Lachen ...“
„Blablabla ...“, poltert Jérémie los. Mit tief gelangweilter Miene hält er den Revolver weiterhin auf uns gerichtet. „Ja, ich kann mir vorstellen, wie traurig sie war, einen nicht konformen Sohn zu haben.“
Ich begreife ja, dass er das Schlimmste erlebt hat ... Aber was für ein Zynismus! Was für eine Gefühlskälte!
Ich kann einen Schauder nicht unterdrücken. Ray fährt fort:
„Ich habe sie nicht mehr wiedererkannt. Also habe ich eines Tages meinen ganzen Mut zusammengenommen und bin über meinen Funktionsbereich hinausgegangen. Wir waren alle drei im Park. Sie schliefen im Kinderwagen. Ich kann mich noch an jedes einzelne Wort dieses Gesprächs erinnern:
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Diane?“
„Guten Tag, Ray. Sie sind sehr nett. Aber nein, Sie können nichts tun. Niemand kann irgendetwas für mich tun“, flüsterte sie nach einem Schweigen. „Er ist so schön. Das Leben ist so ungerecht. In meinen Augen ist er perfekt! Welches Kind wäre das nicht in den Augen seiner Mutter? Aber da waren alle diese Untersuchungen seit seiner Geburt: Messungen, Blutproben, Punktionen ... Sie quälen ihn so sehr. Und nun ... Warum ist das Leben so grausam, Ray?“
„Ich weiß nicht, Madame ...“
„Sie werden ihm wehtun, verstehen Sie? Mein Baby ist nicht gut genug für sie.“
„Nicht gut genug für wen, Madame?“
„Für die Tercari-Aktionäre natürlich! Ray, sollte ich eines Tages nicht mehr in der Lage sein, Jérémie zu schützen, muss er an einen anderen Ort geschafft werden. Versprechen Sie mir, dass Sie mir helfen werden. Versprechen Sie es!“
„Natürlich, Madame, ich verspreche es.“
Ray hat die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Selbst Daniel hört ihm wortlos zu. Die Einzige, die gleichgültig reagiert, ist Diane.
„Und das ist alles?“, fragt Agathe. „Ich verstehe kein Wort.“
Ich auch nicht.
„Noch heute denke ich oft an dieses Versprechen zurück“, fährt Ray fort, ohne auf Agathes Frage einzugehen. „Im Lauf der Zeit mussten mehrere Dinge bewältigt werden: der Ausbruch Ihrer Krankheit, der für alle ein Schock war“, sagt er zu Jérémie, „aber auch der tägliche Druck durch die Tercari-Investoren, an deren Spitze Madame seit einigen Jahren stand. Sie musste immer häufiger anwesend sein. Für die anderen war ihr Platz im Verwaltungsrat und nicht an Ihrer Seite. Sie hatte Angst. Die verrücktesten Gerüchte begannen zu kursieren ... Schließlich, eines Nachts, hat sie mich zu sich gerufen. Monsieur war bei ihr. Glauben Sie mir, Ihre Eltern waren am Boden zerstört. Auch von dieser Konversation habe ich kein einziges Wort vergessen. Sie hat am letzten Abend stattgefunden, den Sie in Sterenn Park verbracht haben.
„Ray, erinnern Sie sich an das Versprechen, das Sie mir vor drei Jahren gegeben haben?“
„Ja, Madame.“
„Sie sind der Einzige, dem Camille und ich voll und ganz vertrauen. Ich werde Jérémie ins Auto legen, solange er schläft. Camille wird Ihnen eine Adresse geben. Dort müssen Sie ihn absetzen. Und sich vergewissern, dass gut für ihn gesorgt wird ...“
„Ihre Mutter hat heiße Tränen geweint, als sie Sie mir anvertraut hat. Ich habe Sie in ein Pflegezentrum gebracht ...“
„Aus dem ich erst Jahre später wieder herauskam, um mich in ein zweites Zentrum zu begeben, danach noch in ein drittes. Sie ist nie gekommen!“, brüllt Jérémie, sichtlich gebeutelt von diesen Kindheitserinnerungen.
„Sie war der festen Überzeugung, dass es das Einzige war, was sie für Sie tun konnte!“
„Anstatt mich zu töten, hat sie es also vorgezogen, mich zu verstoßen?“
Wie kann eine Mutter ihrem Kind so etwas antun?
„Sie hatte Angst, Jérémie. Und ich vermute, sie hat heute noch Angst.“
„Aber wovor?“
Unbeabsichtigt haben alle drei Wietermann-Kinder diesen Satz gleichzeitig ausgesprochen.
„Schweigen Sie, Ray. Sie können nicht wissen, was geschehen ist“, schaltet sich Diane mit gebrochener Stimme ein.
Ray sieht sie an.
„Das stimmt, Madame. Aber im Lauf der Jahre glaube ich verstanden zu haben.“
Dann wendet er sich direkt an Jérémie:
„Ich bin davon überzeugt, dass man versucht hat, Sie zu töten. Nichts anderes hätte Ihre Mutter zu der Entscheidung bewegt, Sie im Stich zu lassen. Schon zur damaligen Zeit gab man Ihnen nicht
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